Bartholomäus Ziegenbalg, „Von den Kranckheiten u. der Medicin der Malabaren“ (1713)
Kurzbeschreibung
Die Tranquebar-Mission in Südostindien wurde 1706 für die einheimischen Bewohner der Kolonie der Dänischen Ostindienkompanie eingerichtet. Die deutschen Pietisten Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau, beide aus Halle, waren die ersten Missionare in Tranquebar (dem heutigen Tharangambadi).
Der folgende Auszug stammt aus einem Brief, den Ziegenbalg schrieb und in der Missionszeitung Hallesche Berichte veröffentlichte. Darin berichtet Ziegenbalg über verschiedene Aspekte der traditionellen indischen Gesundheitspflege und Medizin. Er beschreibt die Krankheiten, an denen die Malabaren häufig litten, reflektiert ihr medizinisches Wissen und beschreibt einige ihrer typischen Heilmittel. Ziegenbalg berichtet, dass die meisten in der Kolonie lebenden Europäer sich auf die indische Medizin (Ayurveda) verließen, um Krankheiten zu heilen. Öle, Pulver und Getränke machten den Großteil der indischen Medizin aus; einige der geschickteren indischen Ärzte verwendeten auch Heilsteine, die aus chemischen Bestandteilen wie Perlen, Gold und anderen Metallen bestanden. Während seiner Zeit in der Mission konsultierte Ziegenbalg einen indischen Arzt und erlebte die positiven Auswirkungen der indischen Medizin aus erster Hand.
Quelle
[…]
Extract aus einem andern Briefe Hrn. Ziegenbalgs / so als ein Anhang zu dem vorigen dienen kan / in Fragen und Antwort verfasset.
Erste Frage.
Was vor Kranckheiten gehen sonderlich unter den Malabaren im Schwange?
Antwort: Die gefaͤhrlichsten Kranckheiten sind 1) Laͤhmung aller Glieder; 2) Verstopfung der Lufft-Roͤhre / woran offtmals starcke und gesunde Menschen eines schleunigen Todes sterben; 3) das kalte Fieber / welches hier gleichfalls sehr gefaͤhrlich ist. Uber diese sind auch noch viele andere Kranckheiten / welche zum Theil gantz incurabel sind / zum Theil aber einen schleunigen Tod verursachen; deren Namen ich auf teutsch nicht zu nennen weiß. Auf malabarisch heissen sie / 4) Polawei, da man auf dem Ruͤcken eine grosse Beule bekommet / welche hie und da viele Loͤcher verursachet; 5) Schuwasckascham, welche einem fast allen Athem benimmt; 6) Kannakirendi, ein fressender Krebs; 7) Magodarawikkum, ein sonderlicher Schwulst in allen Gliedern ec. ec. Ich erinnere mich / daß mir einsmals ein Malabarischer Medicus einen langen Catalogum, darinnen alle Species der Kranckheiten verzeichnet waren / zu lesen gegeben hat. Sie machen viel redens und schreibens von den Winden im Leibe / derer sie hauptsaͤchlich zehen statuiren / diese aber wiederum nach ihren sonderlichen Gaͤngen in siebenzig eintheilen: Wenn nun diese in ihrer richtigen Ordnung stuͤnden / alsdenn / sagen sie / sey der Mensch gesund; kaͤmen aber dieselbe in Unordnung / so entstuͤnden daher allerley Kranckheiten. Dieses wollen sie aus Vergleichung mit den Winden der Welt / nach ihrer Weise / demonstriren: wie sie denn von der Ubereinstimmung des Microcosmi und Macrocosmi, oder der kleinen und grossen Welt / viel Wesens machen.
Andere Frage.
Legen sich auch die Malabaren auf die Medicin?
Antwort: Ars medica hat unter allen uͤbrigen Disciplinen bey den Malabaren den Preis; und wird von denen / die sich ex professo drauf legen / sehr fleißig und wohl excoliret. Sie haben schoͤne Buͤcher daruͤber geschrieben / von welchen ich etliche mit Vergnuͤgen gelesen / und dabey gewuͤnschet habe / daß nur eins derselben ins Teutsche uͤbersetzen / und an den Hrn. D. uͤbersenden koͤnte / woruͤber sich die Medici in Europa vielleicht verwundern wuͤrden: allein meine Amts-Geschaͤffte habens nicht zugelassen. Die hiesigen Europaͤer oder Blancken gebrauchen fast in allen ihren Kranckheiten die schwarzen Medicos, weil diese die Beschaffenheit der hiesigen Lufft / Witterung und Speisen am besten verstehen. Es thun auch diese sehr gluͤckliche Curen: halten aber die Europaͤer an / waͤhren der Cur fast nichts zu essen / als Malabarische Speisen / welche sich zu ihren Medicamenten am besten schicken.
Dritte Frage.
Was fuͤr Species brauchen sie zu ihren Medicamenten?
Antwort: Die Species, die von ihnen in der Medicin gebrauchet werden / sind von den Europaͤischen gantz unterschieden: und weiß ich mich nicht zu erinnern / daß ich ein Medicament von den Schwartzen gesehen haͤtte / welches unseren Europaͤischen waͤre gleich gewesen; es waͤre denn / daß sie die Materialien dazu aus hiesiger (der Compagnie) Apothecke gekaufft haͤtten. Ihre meisten Medicamenta sind Olea, Pulver und Getraͤncke. Welche aber wohlerfahrne Medici sind / pflegen bey gefaͤhrlichen Kranckheiten lauter chymische Medicamenta zu brauchen / davon die wenigsten liquores, die meisten aber lapides sind / von Perlen / Gold und andern Metallen præpariret / und zwar solcher gestalt / daß man allezeit eine Dosin davon abreiben oder abschaben kan: die Farben sind gemeiniglich roth und weiß. Ich habe selbst dergleichen gebrauchet / und davon guten Effect an mir verspuͤret. Ich wollte, ehemals von einem Medico einen solchen lapidem oder Stuͤck Medicamenten kauffen / er wollte aber 60. Rthl. dafuͤr haben. Sonst wird auf Ceylon ein Stein in Schweinen gefunden / welcher Lepes do porco genannt wird / und fuͤr alle Kranckheiten gut seyn soll. Als ich vor acht Tagen mit Herrn M. Gruͤndlern zu Nagapatnam war / schenckte uns der dasige Gouverneur einen dergleichen sehr kostbaren Stein / nebst der Beschreibung von seinen Wirckungen: welchen M. Gruͤndler nach N. geschicket. Ubrigens wird von den Medicis vorgegeben / daß die Europaͤische Medicin in Ost-Indien nicht solche Krafft und Wirckung habe / als an dem Ort / da sie præpariret werde.
[…]
Quelle: Bartholomäus Ziegenbalg, „Von den Kranckheiten [und] der Medicin der Malabaren“, in Der Königl. dänischen Missionarien aus Ost-Indien eingesandte ausführliche Berichte von dem Werck ihres Amts unter den Heyden, herausgegeben von Gotthilf August Francken, 3. Continuation (1713), S. 147–48. Online verfügbar unter: https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:ha33-1-23653
Weiterführende Inhalte
Pratik Chakrabarti, „Medical Marketplace beyond the West: Bazaar Medicine, Trade and the English Establishment in Eighteenth Century India“, in Medicine and the Market in England and its Colonies, c.1450–c.1850, herausgegeben von Mark S. R. Jenner. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2007, S. 196–215.
Niklas Thode Jensen, „Making it in Tranquebar: the Circulation of Scientific Knowledge in the Early Danish-Halle Mission“, in Beyond Tranquebar: Grappling Across Cultural Borders in South India, herausgegeben von Esther Fihl und A. R. Venkatachalapathy. Hyderabad: Orient Blackswan, 2014, S. 325–51.
Josef N. Neumann, „Tamil Medical Science as Perceived by the Missionaries of the Danish-Halle Mission at Tranquebar“, in Halle and the Beginning of Protestant Christianity in India; Bd. 3: Communication between India and Europe. Halle: Verlag der Frankeschen Stiftungen zu Halle, 2006, S. 1135–54.