Franz Strauch „Zur Frage der Ausfuhr von Eingeborenen aus den deutschen Kolonien zum Zwecke der Schaustellung“ (1900)

Kurzbeschreibung

In dieser Denkschrift, die in drei Fortsetzungen in der Deutschen Kolonialzeitung abgedruckt wurde, prangerte der geschäftsführende Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft, Franz Strauch (1846–1928), Menschenzoos an. Sein Vortrag wurde auf der Tagung der Deutschen Kolonialgesellschaft im Juni 1900 in Koblenz vorgestellt. Strauch argumentierte, dass das Ausstellen „exotischer Völkerschaften“ nicht wissenschaftlichen Zwecken diene, sondern nur dem Geldverdienen. Wahre ethnographische Erkenntnisse, so glaubte er, würden nur durch Feldbeobachtung gewonnen. Darüber hinaus berichtete er über die Entscheidung der Deutschen Kolonialgesellschaft in Metz, den „Export“ von Ureinwohnern aus den deutschen Kolonien nach Deutschland abzuschaffen, eine Entscheidung, die in zoologischen Gärten Empörung auslöste. Strauch verurteilte die Menschenzoos nicht zuletzt deshalb, weil er glaubte, dass die Europäer einen negativen Einfluss auf exotische Völker ausübten. Seine Haltung gegenüber Menschen aus Afrika und der Südsee war alles andere als aufgeklärt - er besaß eine paternalistische und koloniale Weltanschauung und wollte die Herrschaft des „weißen Mannes“ über die Kolonialsubjekte durchaus aufrechterhalten.

Quelle

Von Kontreadmiral z.D. Strauch.

Die Schaustellungen von Angehörigen exotischer Völkerschaften in Deutschland, besonders in Berlin, sind nicht neueren Datums und hängen somit auch nicht mit der Erwerbung von Kolonien seitens des Deutschen Reiches zusammen. Bis zum Jahre 1878 fanden solche Schaustellungen nur ganz vereinzelt statt; mit diesem Jahre wurden sie nicht allein häufiger, sondern sie nahmen eine gewisse Regelmäßigkeit an und sind heute ein ständiges Programm unter den „Vergnügungen“ der größeren Städte Deutschlands und vornehmlich Berlins. Während früher Eingeborene unserer Kolonien weniger für solche Schaustellungen herangezogen wurden, so steht jetzt – nach den Erwerbungen des vorigen Jahres in der Südsee und sobald dorthin eine bessere Verbindung geschaffen sein wird – zu befürchten, dass besonders solche Eingeborene unserer Kolonien für Schaustellungen verwertet werden, auf welche letztere den schädlichsten Einfluß ausüben müssen, und deren Resultat unser Ansehen gerade den Südsee-Insulanern gegenüber am meisten zu beeinträchtigen geeignet ist.

Mit Ausnahme eines einzigen Falles ist es den Unternehmern, welche Trupps exotischer Völkerschaften ausstellen, bisher nicht daran gelegen gewesen, ethnologische und anthropologische Kenntnisse zu verbreiten oder zu vermehren; der Zweck solcher Schaustellungen ist lediglich Geldverdienst. Wie hoch sich solcher im allgemeinen beläuft, ist die Deutsche Kolonialgesellschaft nicht in der Lage zu beurteilen. Mit Rücksicht auf die bedeutenden Unkosten, welche solche Unternehmungen verursachen und in Anbetracht des großen Risikos, welches die Unternehmer eingehen, müssen Einnahmen bezw. Gewinn schon recht ansehnlich sein. Ein großer Gewinn läßt sich aber heute durch eine einfache Schaustellung exotischer Völkerschaften allein nicht erzielen. Die Anziehungskraft des lediglichen Anschauens von Eingeborenen in ihrer gewohnten Tracht, in dem gebräuchlichen Schmuck, von den ihnen eigenen Waffen und Geräten umgeben, ferner der von den Eingeborenen in ihrer Heimat ausgeführten Tänze u.s.w. genügt heute nicht mehr, um genügend Zuschauer anzulocken. Man greift daher zu Mitteln, welche geeignet sind, die Masse zum Besuch anzureizen; man putzt die Eingeborenen auf, sodaß sie über sich selbst und die leichtgläubigen Zuschauer lachen, übt ihnen Tänze ein, die sie nie vorher gekannt haben u.s.w. und täuscht so das Publikum, indem man zugleich die Eingeborenen verdirbt.

Es soll nicht geleugnet werden, daß solche Schaustellungen zuweilen einen beschränkten Nutzen für die Wissenschaft gehabt haben. So sind z.B. sämtliche in Berlin ausgestellten exotischen Völkerschaften – zu besonders dafür angesetzten Zeiten – von Mitgliedern der Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte besichtigt und einzelne Individuen von Kapazitäten genannter Gesellschaft nach verschiedenen Richtungen hin wissenschaftlich untersucht worden.

Es geschah dies, um keine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, die Wissenschaft zu fördern. Für die Ethnologie hat aber nur eine Gelegenheit – die Kolonialausstellung im Jahre 1896 – eine Ausbeute ergeben; für die Anthropologie läßt sich zwar Günstigeres sagen, aber im allgemeinen zieht die Wissenschaft solche Schaustellungen heute überhaupt nicht mehr in dem Maße in Betracht wie früher; denn heute werden derartige wissenschaftliche Beobachtungen – und zwar von Tag zu Tag häufiger und bequemer und vor allem zuverlässiger – besser an Ort und Stelle gemacht.

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Von Kontreadmiral z.D. Strauch. (Fortsetzung aus Nr. 44)

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Die Befürchtung, daß Eingeborene unserer Kolonien für die Folge ständige Angehörige solcher Schaustellungen werden, und die Besorgnis vor den Folgen der Wirkung dieser Schaustellungen auf die Eingeborenen hat die Abteilung Metz der Deutschen Kolonialgesellschaft veranlaßt, bei der letzthin in Koblenz stattgefundenen Hauptversammlung einen Antrag einzubringen, wonach die Ausfuhr von Eingeborenen aus unseren Kolonien zwecks Schaustellung ein für allemal untersagt wird. Dieser Antrag hat die einhellige Zustimmung der Hauptversammlung gefunden. In anderen Kreisen stößt die befürwortete Maßnahme auf Widerspruch. Der „Komet“ – „Organ zur Wahrung der Interessen der Besitzer von Sehenswürdigkeiten und Schaustellungen aller Art“ – erklärt „die Schaustell-Unternehmer fremder Völkerrassen für die besten Kultur-Missionare in der Heimat fremder Völker“ und ist entrüstet darüber, daß diesen „Kultur-Missionaren“ ihr Geschäft beeinträchtigt werden soll. Der „Komet“ handelt von seinem Standpunkt aus, und es soll darum mit ihm nicht gerechtet werden. Sehr beachtenswert ist dagegen eine Kundgebung von anderer Seite. In vollkommener Unkenntnis des wirklichen Verlaufs der Verhandlungen der Deutschen Kolonialgesellschaft hat sich die Direktion des Zoologischen Gartens in Berlin durch diese Verhandlungen verletzt gefühlt und an die Tageszeitungen ein Schreiben gerichtet, in welchem sie die Schaustellung der Samoaner in genanntem Garten rechtfertigt. Dieser Schaustellung ist auf der Hauptversammlung nur insofern Erwähnung gethan, als dadurch die Ansicht eines Redners, „für Samoa sei die Ausfuhr von Eingeborenen verboten“, berichtigt wurde. Die Deutsche Kolonialgesellschaft kann der Direktion des Zoologischen Gartens für ihre Aeußerung aber nur dankbar sein; denn diese zeigt, wie wenig sachgemäß die Verhältnisse halb- oder unzivilisierter Völkerschaften, also gerade die Verhältnisse der Eingeborenen unserer Kolonien oft von „wissenschaftlicher Seite“ beurteilt werden.

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Von Kontreadmiral z.D. Strauch. (Schluß aus Nr. 44 und Nr. 45)

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So bedauerlich es auszusprechen ist, so muß der schlechte zivilisatorische Einfluß von Weißen, auf Eingeborene gelegentlich von Schaustellungen ausgeübt, aber als Hauptgrund gegen letztere geltend gemacht werden. Wer die obenerwähnten Schaustellungen der Mehrzahl nach besucht hat, kann gar nicht darüber im Zweifel sein, daß das Verhalten einer bedenklich großen Zahl von Weißen bei diesen Schaustellungen den verderblichsten Einfluß auf Eingeborene haben und das Ansehen der Weißen schädigen muß, ganz abgesehen davon, daß die Eingeborenen durch das Anlernen der den Zuschauern vorzuführenden Gaukeleien in den meisten Fällen schon zu Lügnern gestempelt werden. In Details einzugehen, dürfte müßig und überflüßig sein. Den Eingeborenen mangelt es ferner an Unterscheidung; sie sind nicht im stande, bei solchen Schaustellungen wirklich Gebildete von Ungebildeten zu unterscheiden und übertragen das Verhalten letzterer auf die Gesamtheit. Es muß notwendigerweise auch der Respekt vor den Weißen in ihrer Gesamtheit leiden; der Weiße ist noch im ganzen für die Eingeborenen der Herr, der hoch über ihnen steht, und es muß dafür gesorgt werden, daß er es bleibt, auch wenn dafür besondere Maßnahmen erforderlich wären. Aber auch die wirklich Gebildeten begehen unbewußt bei solchen Schaustellungen oft Fehler. Sie verwöhnen die Eingeborenen. Auch eine Verwöhnung, in bester Absicht geschehen, also eine dauernde vermeintlich gute Einwirkung auf Eingeborene, birgt große Gefahren in sich. Solche „verwöhnte“ Eingeborene sind, in ihre Heimat zurückgekehrt, meist verdorben, dünken sich große Herren und werden oft die nichtsnutzigsten Leute. Wie oft ist es nicht schon hervorgehoben, daß ein einfacher zur Schau gestellter Eingeborener sich die besondere Gunst des Publikums erworben hat, ein allgemeiner Liebling geworden ist.

Alle Kenner haben sich auf der Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft in Koblenz aber über die nachteiligen Folgen einer verkehrten Behandlung von Eingeborenen einhellig ausgesprochen und sind einstimmig der Ansicht gewesen, daß zur Vermeidung all‘ solcher Folgen in erster Linie die Beseitigung der Schaustellungen von Eingeborenen erfolgen müsse und die Ausfuhr zu diesem Zweck zu verhindern nicht nur wünschenswert, sondern notwendig sei.

Damit fallen auch alle anderen Nachteile, welche solche Schaustellungen mit sich bringen, fort.

Quelle: Kontreadmiral z.D. Strauch, „Zur Frage der Ausfuhr von Eingeborenen aus den deutschen Kolonien zum Zwecke der Schaustellung“, Deutsche Kolonialzeitung, Nr. 44, 17. Jahrgang. Berlin, 1. November 1900, S. 500; Nr. 45, 17. Jahrgang. Berlin, 8. November 1900, S. 512; und Nr. 46, 17. Jahrgang. Berlin, 15. November 1900, S. 520. Online verfügbar unter: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/kolonialbibliothek/periodical/titleinfo/7735735

Anne Dreesbach, Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer“ Menschen in Deutschland 1870–1940. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2005.

Franz Strauch „Zur Frage der Ausfuhr von Eingeborenen aus den deutschen Kolonien zum Zwecke der Schaustellung“ (1900), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-188> [23.10.2024].