Kurt Sprengel, Der Botanische Garten der Universität zu Halle (1800)

Kurzbeschreibung

Die folgende Geschichte des Botanischen Gartens der Universität zu Halle (Saale) wurde von Kurt Sprengel (1766–1833), einem Botaniker, Arzt und Schriftsteller, der als Direktor des Gartens fungierte, verfasst. Sprengel beschreibt zunächst die Konfiguration des Gartens und seine mögliche Nutzung im botanischen Unterricht für junge Menschen. Er argumentiert weiter, dass der Garten auch dem allgemeineren Zweck der Förderung der Wissenschaft an sich dient. Zum Schluss diskutiert er die Gestaltung des Gartens mit Blick auf die zeitgenössische Ästhetik.

Quelle

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II.
Gegenwärtige Einrichtung des botanischen Gartens.

1. Unterricht der Studirenden.

Der vorzüglichste Zweck einer Anstalt dieser Art ist der Unterricht der studirenden Jugend in der Naturgeschichte der Gewächse.

Dieser Unterricht hat eine doppelte Beziehung auf den Nutzen des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft. Ein Mahl lernen anfangende Aerzte die Heilmittel kennen, deren sie sich beständig bedienen sollen; und dann hat der künftige Kameralist Gelegenheit, mit der Natur und dem Anbau der Gewächse bekannt zu werden, die als Nahrungsmittel des Menschen, als Futter- und Färbekräuter, als nützliche Holzarten empfohlen werden.

Mit diesem Unterricht hat der gegenwärtige Aufseher des hiesigen botanischen Gartens eine Veränderung unternommen, die ihm sehr zweckmässig zu seyn scheint. Auf anderen Universitäten besteht der ganze botanische Unterricht in der Erklärung der Kunst-Ausdrücke, höchstens in der Erläuterung des Linné’schen Systems, und in der Vorzeigung von einigen hundert Gewächsen, deren Nahmen kurz angegeben werden.

Der Verf. erkennt zwar den Nutzen der Terminologie, aber er hat den Unterricht in derselben von dem Vortrage der philosophischen und praktischen Botanik gänzlich getrennt. Dem prof. Bergener, der ihm als Demonstrator der Botanik zugeordnet worden, hat er die Erklärung der Anfangsgründe der Botanik und der Terminologie überlassen; er selbst aber hält im Sommer öffentliche Vorlesungen unentgeldlich über den Bau der Gewächse, den er durch mikroskopische und physikalische Versuche zu erklären sucht. Ausserdem trägt er in Privat-Vorlesungen die praktische Botanik dergestalt vor, dass er Anleitung zur systematischen Untersuchung, Bestimmung und Unterscheidung der einzelnen Arten der Gewächse giebt. Im Winter aber erklärt er den Bau und lehrt die Unterscheidung der Farrenkräuter, Moose und Flechten, zum Theil nach frischen, zum Theil aber nach trockenen Exemplaren.

Auf diese Art ist ein vollständiger botanischer Curs eingerichtet, und der Verfasser muss gestehn, dass der Eifer für die Botanik unter den Studirenden gegenwärtig ungemein gross ist, und dass diese Vorlesungen sehr häufig und fleissig besucht werden.

Was die eigentliche Benutzung des botanischen Gartens zum Anbau medicinischer und ökonomischer Gewächse betrifft, so ist, ausser dem Felde, (II.) welches die im Lande fortkommenden Pflanzen enthält, und ausser den Topf-Gewächsen, zuvörderst die Partie (2.) unter dem Nahmen der Medicinal-Partie, für officinelle Gewächse bestimmt. Hier werden Schierling, Belladonna, Gifthut, Färberröthe, verschiedene Münzen-Arten u.s.f. in solcher Menge gebaut, dass die hiesigen Apotheken sich grossentheils damit versehen können.

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2. Beförderung der Wissenschaft.

Eine der Haupt-Absichten bei der Anlegung botanischer Gärten muss die Beförderung der Wissenschaft selbst seyn.

Durch die beständige Vermehrung des Vorraths an Gewächsen wird die Kenntniss der Pflanzen befördert: bei dem Anbau derselben erhält man Gelegenheit, die Arten richtiger zu bestimmen und über den Bau derselben interessante Untersuchungen anzustellen.

Dieser Zweck unserer Anlage kann nur durch einen ausgebreiteten Tauschhandel befördert werden. Der Verfasser fand beim Antritt seines Amtes, dass dieser Handel und der damit verbundene Briefwechsel fast ganz vernachlässigt worden war. Er suchte sich daher zahlreiche Verbindungen in Deutschland und dem Auslande zu verschaffen, durch deren Hülfe es ihm gelungen ist, so viel seltene Gewächse zusammen zu bringen, als in sehr wenigen Gärten Europens vorhanden seyn können.

Ungeachtet er in den ersten Jahren seiner Amtsführung nicht im Stande war, seinen Correspondenten eben so viel Saamen wieder zu senden, als sie ihm geschickt hatten, so sieht er sich doch jetzt endlich im Stande, ihre Gefälligkeit einigermassen zu erwiedern. Er hat es sich zur Pflicht gemacht, die meisten Saamen selbst einzusammeln; er kann daher versprechen, dass die Sämereyen so ächt sind, als man es nur verlangen mag.

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3. Anlage des Gartens in Rücksicht der Kunst.

Die Befolgung der Gesetze der schönen Kunst konnte bei unsern Anlagen nur ein Nebenzweck seyn: aber, wo die Natur so vieles schon vorbereitet hatte, da wäre es unverzeihlich gewesen, auf diese Winke nicht zu achten. In der That wird man wenige grössere Gärten sehen, deren Lage so vortheilhaft und deren Umgebungen von der Natur schon so verschönert wären, als den unsrigen.

Der Garten liegt auf einer Anhöhe, die nach Westen durch das jähe felsige Ufer der Saale unterbrochen wird. Ein fruchtbares Thal, voll Landhäuser, kleiner Waldungen und reinlicher Dörfer, wird von dem ruhigen Flusse in mehrern Armen durchschlängelt, und erhebt sich endlich am fernen Horizont so sanft, dass man die ganze westliche Gegend, wenigstens auf anderthalb Meilen weit, von den Felsrücken im Garten, vorzüglich vom Königs-Platze, (11.) übersieht.

Vermöge seiner natürlichen Lage hat also unser Garten den Charakter der Heiterkeit. Die Unterhaltung der Aussichten, die dieser Lage eigen sind, und worin sich die Seele über die Welt, über alle ihre Sorgen, selbst über ihre Bedürfnisse zu erheben scheint, die heitere Genügsamkeit dieses Zustandes, das frohe belebende Gefühl beim Geräusch von Wasserfällen und beim Gewühl der Heerden auf den blumigen Wiesen, die Ruhe beim Anblick des sanft sich hinschlängelnden Flusses, dies alles konnte den Mangel innerer Schönheit, den Mangel prachtvoller Kunstwerke vollkommen vergüten. Man hatte nur nöthig, den rauhen felsigen Vorgebirgen so viel Land abzugewinnen, dass Ruheplätze von der einfachen Art, dass Gänge, mit luftigen Birken und Espen bepflanzt, den Wanderer zur Betrachtung der schönen Landschaft einladen konnten.

Der Garten selbst musste zwar nach den Gesetzen der schönen Kunst, aber mit beständiger Rücksicht auf den Hauptzweck, und mit sorgfältiger Vermeidung aller ängstlichen Kleinigkeiten, angelegt werden. Vom grossen Portal (13.) an bis zum Observatorium (IX.) musste eine schnurgerade, breite Pappel-Allee führen, weil der Blick auf dies interessante Gebäude unverrückt zu heften war. In den übrigen Theilen des Gartens wechseln gewundene Gänge mit geraden ab, weil dadurch allmählig eine Vervielfältigung und beständige Abwechselung der Prospecte entsteht, auch mehr Anpflanzungen zu beiden Seiten der Gänge angebracht werden konnten. In der Nähe des Wohngebäudes (I. II.) mussten die Gänge gerade seyn, weil dadurch die Idee von Symmetrie unterhalten wird, die beim Anblick der menschlichen Wohnungen entsteht. So suchte der verständige Urheber dieser Anlagen jeden feinern Kunstsinn zu befriedigen, indem er bloss für das Bedürfnis der Wissenschaft zu sorgen schien.

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Quelle: Kurt Sprengel, Der Botanische Garten der Universität zu Halle im Jahre 1799. Halle: C.A. Kümmel, 1800, S. XI–XIII, XVII–XVIII, XX–XXII. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10301562-6

Fritz Kümmel, Hrsg., 1698–1998. 300 Jahre Botanischer Garten der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle, 1998.

Anne Mariss, "A World of New Things". Praktiken der Naturgeschichte bei Johann Reinhold Forster. Campus: Frankfurt/New York, 2015.

Kurt Sprengel, Der Botanische Garten der Universität zu Halle (1800), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-192> [24.10.2024].