Johann Christoph von Dreyhaupt, „Von der Naturalien-Cammer des Waysenhauses“ (1749/50)

Kurzbeschreibung

Der vorliegende Bericht über das Kabinett der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen in Halle beginnt mit der Geschichte der Sammlung (§1). Anschließend wird der Inhalt der Kabinette beschrieben, in denen neben Artefakten aus aller Welt wie Manuskripten (§5), Kleidungsstücken, Münzen, Geschirr, Waffen (§6), Andachts- und Sakralobjekten (§7) und aus der Tranquebar-Mission gesandten Gegenständen (§8) natürliche Exemplare wie Mollusken und Schnecken („Conchylien“), Insekten, Säugetiere, Reptilien (§2) und Mineralien (§3) aufbewahrt wurden. Die Sammlung, die in der Mitte des ehemaligen Schlafsaals des Waisenhauses ausgestellt wurde, umfasste auch Modelle des Gelobten Landes, der Stadt Jerusalem, des Tabernakels des Moses und des Salomonischen Tempels. Es wurden auch verschiedene Systeme zum Verständnis des Universums gezeigt, wie z.B. das kopernikanische und das tychonische Weltbild (§4).

Das Kabinett für Artefakte und Naturkuriositäten in Halle ist eine der wenigen historischen Sammlungen, die an ihrem ursprünglichen Standort erhalten geblieben sind. Darüber hinaus verwendet sie noch die Originalkabinette, die vom Künstler Gottfried August Gründler (1710– 1775) angefertigt wurden und erhalten sind. Die Sammlung umfasst über 3.000 Objekte. Wie andere Sammlungen dieser Art sollte das Kabinett in Halle den Makrokosmos im Mikrokosmos zeigen.

Quelle

§. 1. Die Naturalien-Cammer des Waysenhauses enthält in sich eine Sammlung theils von Naturalien, welche, seit dem das Waysenhaus erbauet, meistentheils von Gönnern und Freunden verehret, theils von Artefactis, welche zum Besten der Schulen und Academie auf gewisse Veranlassung verfertigt worden; und ist deren Anfang hin und wieder in denen Fußstapfen gedacht. Als Ao. 1732 die Waysenknaben eines grössern Schlaf-Saals benöthiget, und solcher verfertiget war, ward der bisherige Schlaf-Saal darzu bestimmet, daß man alles, was zur Naturalien-Cammer zu rechnen, und in verschiedenen Zimmern zerstreuet lag, dahin zusammen und in eine anständige Ordnung brachte, damit solches auf einmahl übersehen werden könne.

§. 2. Daher befinden sich an der Seite gegen Mittag in einigen Schräncken an der Wand Sachen, die zum Regnis naturae gehören, wohin zu rechnen das Conchylien-Cabinet, in welchem in 15 verschiedenen Classen von Schnecken und Muscheln sich die Anzahl auf 500 Stück beläufft. Im nächstfolgenden Schrancke befinden sich Insecten, die in Spiritu conserviret werden, und guten Theils aus Malabaren überschickt worden, als Salamander, Chamaeleon, eine weisse Fledermauß, ein grosser Scorpion, Taranteln, ein Nerven-Wurm, so 3 H Fuß lang, und von dem Medico einem Patienten aus dem Fuß gezogen worden, und wie ein schwacher Bindfaden dick ist. Bey diesem Schranck hängen oben an der Decke ein Crocodill, 14 H Fuß lang, ingleichen ein kleinerer 6 Fuß lang, eine Indianische Eydexe 3 H Fuß lang, ein Schwerdt-Fisch von 5 Fuß, nebst 2 besondern Schwerdtern, deren eines 5 Fuß, das andere 3 Spannen lang. Ein langes Horn vom See-Einhorn-Fisch, so 8 Fuß lang. Noch liegen dabey eine Ribbe vom Wallfisch 18 Fuß lang, item ein Knochen vom Wallfisch 4 Fuß breit und hoch.

§. 3. In dem folgenden Schranck befindet sich das Regnum minerale, bestehend aus Bergwercks-Sachen von allen Arten, deren Minern, wie sie aus verschiedenen Ländern gesamlet, an Goldstufen aus Ungarn, aus Sachsen und Waschgold aus der Donau, Silber-Ertze aus Indien, Sachsen, Ungarn und Schweden dergleichen Kupfer, Eisen, Bley und Zinn-Ertze. Die Steine aus verschiedenen Ländern und Gegenden colligiret, sind auch nach ihren gewöhnlichen Classen eingetheilet, in unverbrennliche, Schwefelartige, Kalckartige, Glaßartige, Saltzartige etc. darunter ein Stein-Saltz aus Egypten, desgleichen eine Collection von 120 Arten verschiedener Marmor, die aus Venedig überschickt worden. So sind auch die versteinten Dinge nach ihren Classen rangiret. Ex Regno vegetabili findet sich nebst vielen andern Stücken ein Blat von einem Cocos-Baum, 4 Fuß lang, von der Küste Coromandel, und eine besondere Samlung von ausnehmend schönen Seekräutern, welche der seel. Probst Ziegenbalg an der Insul Ceylon gesamlet.

§. 4. In der Mitte des Saals stehen folgende Modelle:

1) das gelobte Land, woran dessen Gräntzen, Eintheilung nach den Stämmen, Städte, Berge und Flüsse, nebst andern mercklichen Begebenheiten unter gewissen Bildern vorgestellet werden. 2) Die Stadt Jerusalem, wie sie zu Christi Zeiten ausgesehen. 3) Die beyden grossen Systemata mundi et das Systema Copernicanum, an welchen der Lauf derer Planeten und ihrer Satellitum um die Sonne durch Räder und Gewichte vorstellig gemacht wird, die Sphaera aber begreift alle die Bilder der Fixsterne, die zur Nacht am gestirnten Himmel mit ihren Sternen von verschiedener Grösse bemerckt werden. Das Systema Tychoicum ist mit einer Schraube ohne Ende verfertiget, und zeiget, wie die Planeten samt der Sonne sich um die Erde, die im Centro stehet, sich bewegen. Bey diesen Systemate sind die gewöhnlichen Circuli mathematici angebracht, die bey der Geographia mathematica vorzukommen und erklärt zu werden pflegen. 4) Die Stiffts-Hütte Mosis, und 5) der Tempel-Salomonis.

§. 5. In der Seite gegen Mitternacht befinden sich im ersten Schrancke verschiedene ausländische und rare Schrifften, als ein grosses gedrucktes Chinesisches Patent, welches Ao. 1716 mit der Rußischen Caravane aus China nach Moscau geschickt worden.

Ein Peguanischer Brief auf ein Palmblat geschrieben, und in einem langen Rohr verwahret, so ein König von Peguan einem Kauffmann ein Madras überschickt, als ein Privilegium, daß er in seinem Lande frey handeln solle. Ein Brief von einem Indostanischen Printzen an den Missionarium Schultzen in Malabar geschrieben, darinnen er ihm einen verarmten Kaufmann recommendiret. Eine Türckische Ordre, auf schön Türckisches Pappier geschrieben und in einem seidenen Beutel verwahret, welche von den Türcken wegen der Vestung Oezakow gestellt, aber von den Russen unterwegens aufgefangen worden. Verschiedene Stücke rarer und unbekannter Schrifften, welche die ehemals gefangenen Schwedischen Soldaten, als sie nach Siberien geschickt worden, in einem alten grossen verstörten Götzen-Tempel in Kästen gefunden, dergleichen auch la Croze in der Usbeckischen Tatarey hinter dem Caspischen Meere gefunden und beschrieben hat. Von andern Briefen befindet sich da ein eigenhändiger Brief Lutheri von Ao. 1545 und einer von Philipp Melanchthonen von Ao. 1558 an den König von Dänemarck geschrieben. Unter den Büchern ist befindlich Johann Arnds Paradies-Gärtlein, so Ao. 1709 zu Bautzen, als ein grosser Theil der Stadt abgebrannt, unversehrt nach 6 Tagen aus dem Schutt hervorgezogen worden. Ein Römischer Calender aus 7 höltzernen Tafeln, ingleichen ein Runischer Calender-Stab. Eine Copie von einer alten Römischen wächsernen Schreibe-Tafel, darauf der Anfang des Evangelii Johannis sich befindet.

§. 6. In folgendem Schrancke befinden sich verschiedene Kleider aus fremden Ländern, als aus Grönland, Moßkau, China, ein Türckisch Ehrenkleid, welches einer aus der Kayserlichen Gesandschafft bey der Audienz des Gros-Sultans erhalten. Nach diesem finden sich in einem andern Schrancke verschiedene Messer, Löffel und andere Gefässe aus mancherley Ländern; ingleichen hängen bey demselben verschiedene Kriegs-Instrumenta auswärtiger Völcker, als ein Rußisch-Panzerhemde mit der darzu gehörigen Panzerhaube, Armschienen und Handschuen, so ein Rußischer General getragen. Ein Tartarischer Bogen mit Köcher und Pfeil, Indianische Wurff-Pfeile, ein Malabarisches krummes Wurff-Holtz, welches demjenigen, auf den es geworffen wird, alles zerschmettert. Ein Indianischer Commando-Stab, ein Japonischer Bauchreisser etc. Noch findet sich unter denen Artefactis des M.de Labadie Bildniß von der gelehrten Jungfer Schurmannin so klein in Wachs pousiret, daß dessen Gehäuse nicht grösser als eine Haselnuß ist. Hierzu kann noch gerechnet werden eine Samlung von antiquen Griechischen, Egyptischen und Römischen Müntzen, die nebst andern Abgüssen von erhabener Arbeit und vielen Medaillen von ältern und neuern Zeiten vorhanden.

§. 7. In dem darauf folgendem kleinern Schranck befinden sich Res sacrae von auswärtigen Religionen, als: Ein Modell vom heil. Grabe, dergleichen zu Jerusalem verfertiget werden. Ein Original Ablaßbrief von Ao. 1505. Ein Türckisch Beschneide-Messer. Das Bild des Confucii von gebrannten Thon aus China. Der Peruvianische Abgott Bizlipuzli in rothen Speckstein. Eben derselbe in einem Reißkorn, worüber eine hölzerne Capsul mit Schrifft. Ein Mercurius von Corinthischen Ertz; ein Original. Ein Egyptischer Apis von Metall. Zwey ewige Lampen aus einem Römischen Grabe, nebst einem Thränen-Gefäß. Verschiedene Toden-Urnen mit Knochen und Asche der verbrannten Cörper.

§. 8. Letztlich befinden sich in einem besondern Schrancke Sachen, die von denen Missionarien aus Malabar überschickt worden: als, eine kleine Götzen-Capelle, darinnen Wischtnu aus Holz geschnitten sitzt, vor dem Götzen sind 6 Thüren, auf welchen des Götzen Geschichte und Verwandelungen abgemahlet sind, davon die ausführliche Beschreibung in der 40 Continuation der Malabarischen Nachrichten p. 539. nachzusehen ist. Ferner ein laquirt Kästgen, in welchen ein Malabarisch Weib ihren Götzen, den sie angebetet, verwahret gehabt, und solchen nach ihrer Bekehrung dem Probst Ziegenbalg übergeben. Die gantze heilige Schrifft in Malabarischer Sprache übersetzt, und mit einem eisernen Griffel auf Palm- oder Oles- Blätter geschrieben, oder vielmehr eingegraben, wie die Malabaren ihre Bücher zuschreiben pflegen; desgleichen die 4 Bücher von Johann Arnds wahren Christenthum: und Thomas de Kempis von der Nachfolge Christi ins Malabarische übersetzt und auf gleiche Weise auf Palmblätter geschrieben. Unter den Malabarischen Kleidungs-Stücken ist besonders merckwürdig ein so genannter Poenitentz-Pantoffel, auf welchem ein Büssender einher gegangen; desgleichen Malabarische Ohren Gehänge, dergleichen denen Mägdlein vom achten Jahre an in die Ohren gehangen werden, um ihnen die Ohrläpplein zu verlängern, als welches, wann sie recht lang sind, bey ihnen vor eine besondere Schönheit und Zierde gehalten wird.

Quelle: Johann Christoph von Dreyhaupt, Pagvs Neletici Et Nvdzici, Oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des […] Saal-Creyses […]. Halle: Schneider, 1749/50, Bd. 2, S. 224–26.

Thomas Müller-Bahlke, Die Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen. Fotografien von Klaus E. Göltz. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Halle, 2012.

Johann Christoph von Dreyhaupt, „Von der Naturalien-Cammer des Waysenhauses“ (1749/50), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-197> [05.12.2024].