Maria Sibylla Merian, Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten (18. Jahrhundert)

Kurzbeschreibung

Das Leningrader Studienbuch, das unter dem deutschen Titel Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten veröffentlicht wurde, ist die transliterierte Faksimile-Ausgabe des Tagebuchs von Maria Sibylla Merian (1647–1717), in dem die Künstlerin und Naturwissenschaftlerin ihre tägliche Arbeit mit Insekten, vor allem Raupen, Schmetterlingen und Käfern, dokumentierte. Die Einträge beschreiben unter anderem Merians Experimente mit der Nahrung der Raupen und deren Metamorphose zu Schmetterlingen. Merian hatte ihren eigenen Garten, in dem sie Blumen und Insekten erforschte. In ihren Tagebucheinträgen verwies sie auch auf ihre Illustrationen von Insekten (siehe z.B. Tafeln 8, 21 und 34 im zweiten Teil ihres Buches Der Raupen wunderbare Verwandlung/ und sonderbare Blumennahrung).

Quelle

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109 Die im dritten Pergament erste kreuchende Raupe, hat eine frembde Gestalt, solcher Raupen hab ich viel, theils im May, theils im Juny, bekommen, welche alle die Heydelbeer gessen: Auß Mangel derselben, haben sie auch Schlehenblätter gessen. Sie haben sich aber auf zweyerley verändert. Die erste Veränderung war ein offenes Gespinst von gelblichter farbe, worinnen ein Aschgrauer Dattelkern, doch zu unterst etwas Schwefelgelb. Sie sind 4 wochen also darinnen gelegen, hernach aber solche heßliche graue thierlein, die eher einem Wurm, alß einem Vögelein geichen, hervorkommen; dergleichen eins gantz oben sitzt, samt seinem Eylein: Denn sobald sie außgekrochen haben sie solche in grosser Menge gelegt gantz Schneeweiß: derer ich einmal wol 150 gezehlt. Die andere Veränderung war, daß sie sich an einen Schachteldekel (so fest, alß wie sie angeleimt weren), von unten setzten, alß auch über der Raupe zur Seiten zu sehen. Innerhalb 4 wochen, kamen ebenmässig andere heßliche doch fliegel habende, die deutlich waren, hervor, alß darneben zu sehen. Diese hatten einen gar üblen Geruch. Ware also Meine Meinung, daß ich auch etwas wunderliches von diesen frembden Raupen bekommen würde, betrogen. Im II R[aupen] Theil No. 34.

Diese grüne Raupen sind im Juny, ihre Speise sind die Blätter vom blauen Holler, sie machen gespinnst darinn der Dattelkern, (welcher hier mit der abgeschobnen Haut abgemahlt) welcher sehr lebendig war. Im October ist dieß Vogelein heraus gekommen.

110 Die zweide erste Raupe auf dem ersten bargement den 16 Juny haben sich etliche an einen schagtel deckel angehenckt und umb sich herumb gemacht eben alß wen es baumwole wehre und auß den Raupen seindt kleine würmlein krochen den 1. July worauß dan lauter kleine schwartze fliegen worden sein, es war aber seer starck regen weter so daß ich glaubte daß sie daß weder nicht vertragen können den 19 July ist einer zum tattelkern worden, welcher seehr zierlich alß mit golt durchlauffen, und ist daraus gekommon den 7ten Augusty solcher schöner SommerVogel, als hier der gemahlte zusehen ist.

Diese Verwandelung ist in Meinem tritten buch No 15.

Alß ich, umb Ao. 1680, in Nürnberg, mit der Adelichen und Tugendreichen Jungfer Clara Regina im Hoff, alß meiner Discipelin, in Ihres Großvatters Herrn [=Herrn Grossvatters], Herrn Friederich Volkamers Garten, so auff der Stattmauren war, und herrlich zugerichtet, spaziren gienge, fande ich, auf der todten-Nessel, diese einige Raupe, hatte einen sehr schnellen Lauff und gemeldes Kraut von April biß in den May viel genossen. Ihre Farb war schwartz, und mit so viel gelben alß weisen Düpfeln, sehr schön geziert. Zu Anfangs May nun, hatte sie ihren Balg abgeschoben, Nachmals innerhalb 4 Stunden, allmählich zu diesen Dattelkern worden, so unbeweglich war. Den 10 Juny ist ein solcher schöner Mottenvogel, (dann er im tag nicht viel, sondern deß Nachts floge,) hervorkommen,

Diese Verwandlung habein meinem II Raupentheil bey No. 8 angebracht zu sehen.

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119 Diese grosse goldgelb-schwartze Raupe (welche, so sie noch klein, wie die kleinere darneben, aussieht) habe ich in grosser Menge Ao. 1677 im Stattgraben zu Altorff, (da die Universität von Nürnberg ist) gefunden im Graß, alwo sie den Klee und Sauer Ampfer zur Speise gebraucht haben, habe sie vom August, biß in den September, alletag darmit gespeisset, darnach haben sie von ihrem Koht, und denen grünen Blättern, ein Gebäw gemacht, und haben sich darinnen verkrochen. Aber es ist mir nichts darauß worden, sonder gar verdorben; und ob ich sie gleich folgende Jahr noch öffters bekame, Und mit grosser Sorgfalt ihnen auffgewartet, und allerhand Inventionibus umb ihnen zu ihrer Veränderung behuf zu geben, so blieben sie wohl den winter durch halb so leben, aber endlich verschliessen oder Verschleimten sie.

Alß ich im Anfang July, einmal in meinen Garten, (neben der Schloßkirchen oder keyserlichen Schloß-Capell in Nürnberg) so wohl die Blumen zu besehen, alß Raupen zu suchen, hinauf gienge, fand ich sehr viel grünen Morast auf den grünen Blättern der Goldgelben Lillien; da gedachte ich zu finden, wo doch jener Morast herkäme; berührte ihn mit einem Stäblein, der Meinung, alß ob etwan die Blätter faulten: Da fand ich in dem Morast, sehr viele kleine rothe runde thierlein, wie Käfferlein, gantz dicht mit den Köpfen beysammen sitzen, und gantz unbeweglich, wann ich sie schon hart anrührete. Derselbigen nahm ich dann etliche samt den Blättern mit nach Haus, zu untersuchen, was doch darauß werden möchte. Sie blieben in dem unsaubern Morast also liegend; da ich aber nach etlichen Tagen, sie wieder besahe, fand ich, daß sie sich eben auf solche Weise verändert, alß wie ich darnach in meinem Garten auch befande, nemlich wie gleich über dem grünen blat ein stumpfer roter Dattelkern (gegen dem Käfer Raüplein so auffm grünen blat sitzt) zu sehen ist. Nun zu Ende deß July kamen solche Käfferlein alß eins darüber kreucht, heraus. Welche ihren Samen so gleichfals rot, wieder auf die Lilienblätter gelegt, und zwar in solcher Ordnung alß wenns ein Kegelspiel were. Auß diesen sind abermal die vorige Thierlein, welche sonst mit Morast bedeckt gewest, herauß worden. Diese Verwandlung habe ich in meinem II. Raupen Theil No. 21 gemacht.

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Quelle: Maria Sibylla Merian, Leningrader Studienbuch, Band 2, Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten. Leipzig: Reich, 1976, S. 219(40)-221(41), 227(44).

Natalie Zemon Davis, Women on the Margins: Three Seventeenth-Century Lives. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1995.

Carin Martins, Maria Sibylla Merian zwischen Malerei und Naturforschung: Pflanzen- und Schmetterlingsbilder neu entdeckt. Berlin: Reimer, 2017.

Anne-Charlott Trepp, Von der Glückseligkeit alles zu wissen: die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main: Campus-Verlag, 2009, S. 210–305.

Kurt Wettengl, Maria Sibylla Merian: 16471717; Künstlerin und Naturforscherin. Ostfildern: Hatje Cantz, 2013.

Maria Sibylla Merian, Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten (18. Jahrhundert), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-168> [05.12.2024].