Albert Döderlein, „Über künstliche Befruchtung“ (1912)

Kurzbeschreibung

Der Gynäkologe Alfred Döderlein (1860–1941) setzte sich mit der Unfruchtbarkeit auseinander und verstand dies als ein weit verbreitetes Phänomen, mit dem sich Ehepaare konfrontiert sahen. Um die „Krankheit“ der Sterilität zu überwinden, schlug Döderlein die künstliche Befruchtung vor, die u.a. bereits seit dem 18. Jahrhundert bei der Fischzucht erfolgreich eingesetzt werde. Zum Ende seines Beitrags schildert Döderlein, welche Methode er bei seinem bisher einzigen Erfolg bei der künstlichen Befruchtung angewendet hatte.

Quelle

Ueber künstliche Befruchtung*
Von Prof. A. Döderlein in München

M. H.! Der Wunsch, das eigene Ich in seiner Nachkommenschaft fortgepflanzt zu wissen, ist im Menschengeschlecht so tief gewurzelt, dass in denjenigen Ehen, denen dies versagt ist, diese Lücke in der Regel auf das Schmerzlichste empfunden wird.

Die Häufigkeit der sterilen Ehen berechnet sich nach Rohleder[1] auf etwa 10 Proz. Unter gewissen Verhältnissen erhöht sich diese Ziffer auf das Doppelte. So fand Göhlert in einer ahnenreichen Dynastie 23,7 Proz., unter 600 Ehen in deutschen Regentenfamilien 20,5 Proz. steril. Duncan konstatierte unter 4447 Ehen der standesamtlichen Register von Edinburgh und Glasgow 725 = ca. 16 Proz. steril, Simpson unter 1252 Ehen 146 = 8,5 Proz., Prochownik unter 2500 Ehen ca. 9,1 Proz.

Angesichts dieser Zahlen und des Umstandes, dass die meisten Eheleute ihre Sterilität als eine Krankheit betrachten, ist es somit nicht verwunderlich, dass sie von jeher ein Behandlungsobjekt für die ärztliche Tätigkeit gewesen ist und namentlich die Frauenärzte haben sich mit ihr intensiv zu beschäftigen. Leider sind unsere Bemühungen hiebei nicht häufig von Erfolg begleitet.

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Am weitesten entwickelt und praktisch längst verwertet ist die künstliche Befruchtung bei den Fischen. Hier wurden auch die ersten Versuche angestellt, die bis auf das Jahr 1763 auf Jacobi zurückgehen. Da sich hier die Befruchtung extrakorporeal vollzieht, sind der künstliche Beeinflussung von vorneherein die Wege geebnet. Das Weibchen legt seine Eier im Wasser ab, der männliche Fisch lässt beim Darüberstreichen seine Milch ausfliessen und es ist wohl ein chemotaktischer Vorgang, dass die Spermatozoen zu den räumlich getrennten Eiern gelangen. Durch Bestreichen der Tiere sind sie zum freiwilligen Verlassen ihres Samens leicht zu bewegen und so bedarf es bei der künstlichen Befruchtung nichts als einer gewissen leichten Nachhilfe. Die allenthalben mit so grossem Erfolg arbeitenden künstlichen Fischzuchtanstalten geben den Beweis, welch hoher Wertschätzung sich hier die künstliche Befruchtung erfreut.

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Unter 6 Fällen, in denen ich bei sterilen Ehen die künstliche Befruchtung versucht habe, ist dieser der erste und bisher einzig erfolgreiche gewesen.

Die von mir eingehaltene Technik ist kurz folgende:

Das Sperma liess ich durch Coitus condomatosus gewinnen. Der die Ejakulation enthaltende Kondom wurde einer sterilen Schale übergeben und die Frau alsbald in den Operationssaal auf den Untersuchungsstuhl gebracht und das direkt aus dem Kondom in die sterile Braunsche Spritze eingesogene Sperma in die Uterushöhle injiziert. Ueber die dabei einzuhaltenden aseptischen Kautelen brauche ich wohl kein Wort zu verlieren. Es ist selbstverständlich, dass man nicht auf eine völlige Keimfreiheit rechnen darf, da es ja nicht möglich ist, den Penis des Mannes im wahren Sinne des Wortes zu sterilisieren und auch das Ausstreifen des Kondoms und die übrigen Manipulationen vom Manne vorgenommen werden müssen, will man nicht der ganzen Prozedur so viel Unannehmlichkeiten aufladen, dass es sich von selbst verbietet.

Man kann den Einwand machen, dass damit unter Umständen Infektionen erzeugt werden können und es gibt in der Literatur einen Fall, den Fritsch beobachtet hat, in dem auf diese Weise eine gonorrhoische Infektion erzeugt worden ist. Ich glaube aber, die Möglichkeit einer solchen Tatsache selbst zugegeben, dass dies doch eine solche Ausnahme darstellen dürfte, dass angesichts der sonst in einer solchen Ehe gegebenen Uebertragungsmöglichkeiten dieser keine besondere Rolle zugeschrieben werden kann. Selbstverständlich wird man bei Anwesenheit einer manifesten Gonorrhöe darin eine Kontraindikation gegen die künstliche Befruchtung erblicken. Die bei der Frau in Verwendung kommenden Instrumente, Spekula, Fasszangen, eventuell Dilatatoren und Spritzen, sind selbstverständlich nach allen Regeln der Kunst zu sterilisieren. Nur habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Auskochen, insbesondere der Braunschen Spritzen, in Sodalösung mit den darin verbleibenden Resten die Lebensfähigkeit der Spermatozoen gefährdet. Ich koche deshalb die Instrumente in physiologischer Kochsalzlösung aus und sterilisiere die Spritze hinterher noch trocken, um eben gar kein anderes Material als das dem Kondom entnommene Sperma zur Injektion zu verwenden.

Selbst dieses aber halte ich noch für eine für die inneren Genitalien differente Flüssigkeit. Unter natürlichen Verhältnissen gelangt sie ja nur in die Scheide und es wandern nur die Spermatozoen allein durch den Zervikalschleim aufwärts. Verbringen wir also Sperma selbst in die Uterushöhle, so müssen wir damit rechnen, dass vielleicht toxische Stoffe mit eingebracht werden, die nicht ganz harmlos sind. Ich beziehe darauf die Erfahrung, dass in mehreren meiner Fälle die Frauen nicht nur über Schmerzen nach der Injektion klagten, sondern auch über Veränderungen der Menstruation hinsichtlich ihrer Stärke und Dauer, die auf gewisse Reizwirkungen in der Uterusschleimhaut hindeuten.

Auch möchte ich nicht verfehlen, ganz besonders davor zu warnen, daß man zu viel Spermaflüssigkeit injiziert, da sie möglicherweise in die Tuben, ja sogar durch sie hindurch in die Bauchhöhle kommen kann. Durch die von mir[2] mit Farblösungen ausgeführten Experimente mit den intrauterinen Injektionen zeigten, wie leicht auch bei Verwendung von nur 1 ccm Flüssigkeit dies in die Tuben und sogar durch den Morsus diabli in die Bauchhöhle kommen kann, Untersuchungen, die durch Zweifel, Menge u. a. bestätigt wurden. Es genügt, sich dieser Gefahr bewusst zu sein, um sie zu vermeiden. Man braucht nur darauf achten, dass eben nur geringe Mengen, nicht mehr wie vielleicht 2 Tropfen Spermaflüssigkeit in die Uterushöhle gelangen. Wer sich einmal durch mikroskopische Untersuchung von der Reichhaltigkeit der Spermatozoen im normalem Sperma überzeugt hat, der weiss, dass ein Tropfen ungezählte Massen beherbergt und wahrscheinlich werden mit diesem Tropfen viel mehr Spermatozoen in die Uterushöhle eingebracht als jemals durch spontane Emigration den Weg zu finden vermögen.

Lassen Sie mich mit dem Wunsche schliessen, dass die bisher so stiefmütterlich behandelte künstliche Befruchtung auch beim Menschen künftighin die Beachtung finden möge, die ihr in der Sterilitätsbehandlung zweifellos zukommt.

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Anmerkungen

[1] * Nach einem am 28. 11. 1912 im Aerztlichen Verein München gehaltenen Vortrage.
H. Rohleder: Die künstliche Zeugung beim Menschen. Eine medizinisch-juristische Studie aus der Praxis. Leipzig 1911, O. Thieme.
[2] Döderlein: Experimentelle Untersuchungen über Intrauterininjektionen. Verhandl. d. deutsch. Gesellsch. f. Gyn. 1897 Leipzig.

Quelle: Albert Döderlein, „Über künstliche Befruchtung“, Muenchener Medizinische Wochenschrift, 59. Jahrgang, No. 20, 14. Mai 1912, S. 1081–84.

Albert Döderlein, „Über künstliche Befruchtung“ (1912), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-2> [02.12.2023].