„Die Pflege der Haare“, aus Anna Fischer-Dückelmann, Die Frau als Hausärztin (1911)
Kurzbeschreibung
Dieser Auszug aus einem weitverbreiteten Nachschlagebuch über weibliche Gesundheit illustriert die enge Verbindung, die in Deutschland zwischen chemischem Wissen, Verbrauchermarketing und der modernen Sicht der Persönlichkeit als ästhetische Errungenschaft bestand. Cremes, Öle, Parfums, Färbemittel, Kleidungsaccessoires: angewandte und kommerzialisierte Wissenschaft ließ alle diese Produkte – und viele mehr – zu Verkaufsgütern werden. Die Frauen wiederum kaufen diese Produkte, um ihr Haar zu pflegen und zu verändern, um so das im Gesellschaftsleben angestrebte Image zu erreichen. Diese Entwicklungen legten die Grundlage für noch einflussreichere Erfindungen im späteren 20. Jahrhundert: industriell produzierte chemische Kosmetik.
Quelle
Die Pflege der Haare
Wie sehr reicher Haarwuchs und schöne Haare zur Erhöhung unserer Schönheit beitragen, ist allgemein bekannt; dennoch wissen die Frauen nicht alles, was den Haaren schadet, oder was zu ihrem Gedeihen beiträgt.
Es hat Haartrachten gegeben, welche direkt auf Haarschwund hinarbeiteten, indem sie die Haare durch Zug bei straffem Zusammenbinden und Feststecken an der Wurzel lockerten oder erhitzende Einlagen die Ausdünstung der Kopfhaut unterbrachen und dadurch ein Ausfallen der Haare, ferner durch „Lockenwickler“, zu häufiges Brennen mit sehr heißem Eisen usw. ein Brechen und Dünnerwerden der Haare bewirken. Viel Unsinniges haben die Frauen ihrer Kopfhaut schon zugemutet, und wenn Kahlköpfigkeit nicht häufiger unter ihnen auftritt, so ist dies unter anderem nur ihrer leichteren Kopfbekleidung zugeschrieben, die den Kopf freier läßt als beim Manne. Filzhüte, schwere Helme usw., welche die Wärmeausstrahlung des Kopfes bedeutend hemmen, sind dem Haarwuchs sehr schädlich, dagegen beschweren die leichten Frauenhütchen den Kopf meist gar nicht. Häufiges Beschneiden der Haare scheint die Fruchtbarkeit des Haarbodens eher zu schwächen als zu stärken, und das mag ein Grund mehr sein, warum es unter den Männern so ungleich mehr Kahlköpfe gibt als unter den Frauen. Der natürliche Zustand bedingt ein Wachsenlassen der Haare „so lange sie selber wollen“, ein immer wiederholtes Kürzen und Beschneiden hemmt sie jedenfalls. Unbestritten ist die Kahlköpfigkeit eine traurige Begleiterscheinung der Kultur, die in unserer Zeit erschreckend überhand nimmt. Sorgen wir wenigstens dafür, daß das weibliche Geschlecht davor bewahrt bleibe! Kahlköpfige Frauen wären das Häßlichste, das man sich vorstellen kann.
Schon bei kleinen Mädchen muß straffes Binden, Feststecken und Brennen der Haare vermieden werden. Mit weiten Kämmen und weichen Bürsten reinige und glätte man das Haar und trage es zuerst offen, dann geflochten in lockerer, natürlicher Weise. Häufiges Kopfwaschen ist zur Kräftigung des Haarbodens äußerst wohltätig; allwöchentlich übergieße man den Kopf mit Wasser von 35-37˚ C., entweder gelegentlich eines Vollbades oder auch ohne solches. (Siehe Fig. 144) Es wird dadurch nicht nur für Reinigung der Kopfhaut gesorgt, sondern auch für vermehrte Blutfülle derselben, wodurch die Ernährung der Hautpapillen gefördert wird. Man faßt das geflochtene Haar und hebt es mit einer Hand hoch, um es vor dem Naßwerden zu schützen; mit der anderen drückt man den vollen Schwamm aus und schöpft Wasser aus dem Becken. Auf diese Weise lassen sich Kopfbäder leicht ohne Bedienung ausführen. Will man die langen Haare zeitweilig der Reinigung wegen auch mitwaschen, dann läßt man sie vornüber hängen und begießt sie. Das Haar wächst nicht etwa an seiner Spitze, sondern von der Wurzel aus; wenn die feinen Gefäßschlingen, welch die Haarpapille, aus welcher das Haar hervorsprießt, umspülen, verkümmern oder ungenügend mit gutem Blut gefüllt sind, so geht auch das Haar langsam zugrunde. Alle Mittel, welche die Ernährung des Haarbodens vermehren, werden daher auch das Wachstum der Haare befördern, seien es nun Kopfbäder, Kopfpackungen, Kräutereinreibungen oder Kopfmassage.
Fig. 144: Kopfwaschung (ohne Hilfe ausgeführt)
Allgemeine Krankheiten, auch nervöse Einflüsse können den Blutzufluß hemmen, daher so häufiger Haarausfall bei solchen Gelegenheiten.
[…]
Auch die Gesunderhaltung der Talgdrüsen, die am Haare hängen, ist für sein Gedeihen notwendig; erkranken sie, wie bei verschiedenen Hautschlägen, dann fällt auch das zugehörige Haar bald aus. Sie sondern so viel Fettstoffe ab, daß die Haare weich und glänzend bleiben; erscheinen diese dagegen spröde, trocken und von grauem Schimmer, dann erfüllen die Talgdrüsen ihre Aufgabe nicht, sie sondern zu wenig Fett ab. Man muß in diesem Fall nachfetten, was man etwa zweimal wöchentlich mit feinen Fetten tun kann. Nußöl (das die Haare dunkelt), Mandelöl (parfümiert), sowie Rindsfett mit Rosenöl u. dgl. sind überall gebräuchlich.
Bei den käuflichen Pomaden hüte man sich vor ranzigen Fetten und wähle daher lieber parfümierte Öle.
Niemals darf man jedoch die Haare so fetten, daß sie fettglänzend werden und gleichsam „triefen“; denn dies tut die Natur auch niemals, es sei denn bei gewissen Krankheiten der Talgdrüsen, dem Schmerfluß, der übermäßigen Fettabsonderung. Das ist aber ein häßlicher Zustand, der es wahrhaft nicht verdient, nachgeahmt zu werden.
Auf dem Kopfe wird das Fett durch die Wärme desselben auch ranzig; es müssen daher eingefettete Köpfe um so öfter abgeseift werden. Da Fett, Haarschuppen und Staub auf dem Kopfe leicht zu Krustenbildung führen, die man als gelben Belag auf dem Haarboden vieler Personen findet, und da dieser nur mit scharfen, dichten Kämmen abgelöst werden kann, die den Haarboden aber so sehr reizen, daß auch kleine Blutungen entstehen, so ist die häufigere Anwendung des warmen Wassers jedenfalls angezeigt. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß gesunde, gut gepflegte Haare der künstlichen Einfettung nicht bedürfen; sie haben genügend eigenes Fett und eigenen Glanz. Der natürliche Glanz wird besonders durch Bürsten vermehrt.
Leicht gewellte und lockige Haare sind sicher der schönste Schmuck des Kopfes; die kurzgeschnittenen modernen Männerköpfe sind daher ausgesprochen häßlich; sie verletzen unser Schönheitsgefühl, obwohl nicht geleugnet werden kann, daß sie in der Sommerhitze sehr angenehm empfunden werden. Die Frauen kennen die verjüngende Wirkung der Stirnlocken usw., daher werden diese von alt und jung, von Schönen und Unschönen mit vieler Kunst hergestellt, ohne leider immer die gewünschte Wirkung zu erzielen. Zu älteren Zügen, zu einem kranken Gesicht passen kokette Löckchen nicht, auch nicht zu unglücklich geformten Geschichtsteilen, z.B. einer kolbigen Nase und dergleichen Seitensprüngen der Mutter Natur. Es gäbe viel weniger häßliche Frauen, wenn es alle verständen, die Toilette ihren Körperformen anzupassen, also unangenehme Gegensätze zu vermeiden. Eine schlichte Haartracht, eine bescheidene Hutform, Vermeidung greller Farben passen viel zu unschönen Gesichtern, als das Gegenteil.
Darum also nicht für alle Frauen künstliche Locken, wohl aber für alle ohne Ausnahme eine gefällige Form der Haartracht und solche Behandlung der Haare, daß sie voll, glänzend, weich und wellig auch bei den alten Frauen bleiben. Dies erreichen wir durch häufiges Baden der Haare, lockere Anordnung derselben, so daß sie sich in natürlichen Wellen um die Stirn legen durch tägliches Bürsten und — die Hauptquelle aller Schönheit — durch Erhaltung einer ungetrübten Gesundheit unseres Körpers.
Wie durch andere Anzeichen, z.B. die Farbe, den Glanz und Ausdruck unserer Augen, äußern sich Krankheiten, Verfall, Alter, ja nervöse Störungen auch an den Haaren. Einmal sind sie haltlos und weich und bleiben nicht in der gewünschten Lage, ein andermal sind sie erstaunlich fett, ohne je mit einer Pomade in Berührung gekommen zu sein. Zuweilen erscheinen sie auch dunkler, zu Wellen geneigt, dann glänzender. Mit einem Wort: sie sind ein Teil unseres Körpers und machen daher alle Veränderungen und Vorgänge in demselben mit, und zwar bei nervösen Personen mehr als bei robusten. Ebenso verhält es sich mit den elektrischen Erscheinungen an den Haaren, die bei manchen Personen und zu bestimmten Zeiten so stark sind, daß sie sich nie die Haare auskämmen können, ohne deutlich knisternde Funken zu erzeugen. Auch dieser Vorgang verändert sich mit ihrem Wohlbefinden.
Jeder Mensch kann an seinem eigenen Haupthaar die verschiedensten Beobachtungen machen.
Über krankhafte Schuppenbildung und Hautkrankheiten des Kopfes siehe im III. Teil: „Heilkunde“.
Noch haben wir den grauen Haaren und der Haarfärbung einige Zeilen zu widmen.
Das Weißwerden der Haare ist ein Zeichen des Greisentums, für ein noch jugendliches Alter ganz unnatürlich. Es entsteht durch das Schwinden des Haarfarbstoffs und das Eindringen der Luft in die Haarröhre. Mit diesem Vorgang ist meist auch ein Steifwerden der Haare verbunden, nicht aber auch ein vermehrter Ausfall.
Nach Gemütserschütterungen, nach schweren Krankheiten, durch Vererbung tritt es häufig ein. In den sechziger Jahren ist es mehr oder weniger naturgemäß, früher aber nicht. Dennoch sieht man heute oft Menschen mit noch nicht erreichtem vierzigsten Jahre, die bereits einen grauen Scheitel haben.
Wenn solche bei sonst noch jugendlichem Äußern und guten Kräften sich nach Färbemitteln umsehen, um das unzeitmäßige Merkmal des Alters zu verscheuchen, so ist dies sehr wohl erklärlich und auch nicht unnatürlich. Anfechtbar, unter Umständen lächerlich, ist es aber, wenn Leute über ihr Alter täuschen wollen und durch Färbemittel eine Jugendlichkeit heucheln, die sie längst nicht mehr besitzen. Dann ist man berechtigt, sich über das Haarfärben lustig zu machen.
Unter Haarfärben verstehen wir hier also nur den Ausgleich einer Anomalie, eine Bekämpfung des verfrühten Grauwerdens, nicht etwa die künstliche Umwandlung brauner Haare in blonde oder dergleichen Spielereien, oder die Unterdrückung eines natürlichen Zeichens der Greisenhaftigkeit, wo es hingehört.
Wie beeinflußt man die Haare am besten, um ihnen wohl die verlorene Farbe widerzugeben, ohne sie oder den Haarboden zu schädigen?
Es gibt unzählige Haarfärbemittel; schwer aber ist es zu sagen, welche am schnellsten wirken und dabei dennoch unschädlich sind. Die metallischen sind die wirksamsten; aber sie sind mehr oder minder bedenklich und greifen den Haarboden an. Verschiedene pflanzliche Färbemittel sind ganz unschädlich, aber auch sehr unzuverlässig, indem sie entweder nicht lange haften oder ungleich in ihrer färbenden Wirkung sind. Es hängt dies auch von dem natürlichen Gehalt der Haare an Schwefel ab, mit welchen die Färbemittel chemische Verbindungen eingehen. Auch der natürliche Fettgehalt der Haare ist von Wichtigkeit. Es muß daher jeder erst ein wenig probieren, nicht aber, ohne sich vorher über einige leitende Punkte klar geworden zu sein.
Teils unschuldige Haarmittel, die nicht schaden, aber oft auch nicht viel nützen, teils vielgebrauchte sind Nußextrakt, Henna mit Nachfärbung mit Indigoblätterpulver, Anacardium und andere Mischungen. Von mineralischen Substanzen sind Höllenstein, Blei, Eisenfalze, chromsaures Kalium, Cadmium usw., viel benützt. Die haltbarsten, angeblich unschädlichen Färbemittel liefern Silbersalpeter oder Höllenstein, mit vorhergehender Beeinflussung der Haare durch Schwefellösungen; Höllensteinlösung mit Ammoniakzusatz gibt blonde oder braune Haare, je nachdem der Gehalt des letzteren schwankt. Pyrogallussäure soll vortrefflich färben; allein sie ist sehr giftig und wird darum lieber vermieden. Vor Bleisalzen muß man sich hüten, da sie durch die Kopfhaut in den Organismus eindringen und zu bösen Vergiftungserscheinungen führen können. Daher vermeide man auch, das nächstbeste Färbemittel, das vielleicht in Inseraten sehr gerühmt wird, zu kaufen, sondern erkundige sich zuerst bei Apothekern und Friseuren, oder lasse eine chemische Untersuchung vornehmen.
Es ist richtig, daß viele Mittel jahrelang ohne sichtbare schädliche Folge benützt werden; andererseits ist es aber auch sicher, daß sich manche Person durch das Färben der Haare einen hartnäckigen Kopfausschlag geholt hat, oder daß die Haare auffallend brüchig wurden oder ausfielen. Daß die häufige Einwirkung von Fremdstoffen auf die Kopfhaut für diese nicht gleichgültig sein kann, ist zweifellos; es fragt sich dann nur, ob es uns gelingt, durch Gegenmittel den schlechten Einfluß aufzuheben, oder ob dieser stärker ist als alle Gegenmittel.
Welches sind die Gegenmittel? In erster Linie die Stärkung der Kopfhaut, das kräftige Wachsen der Haare, die gute Ernährung des Haarbodens, — dann schaden auch milde Haarfärbemittel nicht viel! In zweiter Linie Vorsichtsmaßregeln beim Auftragen der färbenden Flüssigkeiten, indem man es möglichst vermeidet, den Haarboden zu treffen.
Um die Haare aufnahmsfähig zu machen, muß man sie vor jeder Färbung mit warmem Wasser und etwas Soda oder Seife gründlich reinigen. Sie verlieren dadurch für kurze Zeit ihr natürliches Fett. Die festsitzende Färbung wird durch Wasser nicht beeinflußt; man kann also öfters die für den Haarboden so wohltätigen und die Farbe nicht angreifenden warmen Kopfbäder ausführen, welche wesentlich zur Gesunderhaltung des Haarbodens beitragen.
Will man Haare entfärben, so benützt man Zitronensaft.
Richtige Auswahl des Färbemittels, häufige warme Kopfbäder, vorsichtiges Auftragen — meist nur alle vier Wochen nötig —, geben die Möglichkeit, bei sonst normalem Zustand der Kopfhaut jahrelang die Haarfärbung schadlos ertragen zu können. Gegen Glanzlosigkeit oder Sprödigkeit der Haare ist öftere Einölung der Haare mit Nußöl sehr vorteilhaft.
Aus Dr. Thimms Buch „Lehre und Pflege der Schönheit“ entnehmen wir folgende belehrende und warnende Angaben über verkäufliche Haarfärbemittel: „Eau de Bahama“ enthält Bleizucker und Schwfelblumen, — „Eau de Cythère“enthält Chlorblei, unterschwefligsaures Natron, — Rosetters Haar-Regenerator, Bleizucker, Schwefel und Glyzerin, — „Hair Restorativ“ Prof. Woods, Blei, — „Hair-Tonique“, Indian, auch Blei usw.
Wenig wert sind die ungleich färbenden Mittel, die sehr leicht abgehen, also auch Kopfkissen und anderes rasch beschmutzen. Je nach Beschaffenheit der Haare muß das Färbemittel gewählt werden, die Beratung mit einem erfahrenen Friseur ist daher das ratsamste, und wir vermeiden es aus diesem Grunde, ein bestimmtes zu empfehlen. Dagegen wollen wir an dieser Stelle den Einfluß der Henselschen Salzkur auf das Haarwachstum nicht unerwähnt lassen. Durch Zufuhr von Schwefel und Kieselsäure (monatelanges Einnehmen), an welchen so mancher chronisch Kranker verarmt ist, erzielt man mitunter überraschende Wirkung. (Siehe „Henselkur“).
Quelle: Anna Fischer-Dückelmann, Die Frau als Hausärztin: ein ärztliches Nachschlagebuch der Gesundheitspflege und Heilkunde in der Familie, mit besonderer Berücksichtigung der Frauen- und Kinderkrankheiten, Geburtshilfe und Kinderpflege. Stuttgart: Süddeutsches Verlags-Institut, 1911, S. 210-15. Online verfügbar unter: https://archive.org/details/diefraualshaus00fiscuoft/page/210