Robert Koch, „Die Ätiologie der Tuberkulose“ (1882)

Kurzbeschreibung

Robert Koch (1843–1910) untersucht in seinem Beitrag, wie die Krankheit Tuberkulose entsteht. Zunächst betont er, dass Tuberkulose eine der am weitesten verbreiteten Infektionskrankheiten sei. Daher müsse deren Entstehung und Übertragung bestimmt werden. Anschließend stellt Koch seine Studien am Mikroskop vor, bei denen er die Tuberkelbakterien sichtbar machte. Abschließend behandelt der Auszug die Bedeutung der Entdeckung der Tuberkulosebazillen, für die Robert Koch 1905 den Nobelpreis für Medizin erhielt.

Quelle

Die Ätiologie der Tuberkulose.
(Nach einem in der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin am 24. März 1882 gehaltenen Vortrage.)

Von Dr. R. Koch, Regierungsrat im Kaiserl. Gesundheitsamt.

Die von Villemin gemachte Entdeckung, daß die Tuberkulose auf Tiere übertragbar ist, hat bekanntlich vielfache Bestätigung, aber auch anscheinend wohlbegründeten Widerspruch gefunden, so daß es bis vor wenigen Jahren unentschieden bleiben mußte, ob die Tuberkulose eine Infektionskrankheit sei oder nicht. Seitdem haben aber die zuerst von Cohnheim und Salomonsen, später von Baumgarten ausgeführten Impfungen in die vordere Augenkammer, ferner die Inhalationsversuche von Tappeiner und anderen die Übertragbarkeit der Tuberkulose gegen jeden Zweifel sichergestellt und es muß ihr in Zukunft ein Platz unter den Infektionskrankheiten angewiesen werden.

Wenn die Zahl der Opfer welche eine Krankheit fordert, als Maßstab für ihre Bedeutung zu gelten hat, dann müssen alle Krankheiten, namentlich aber die gefürchtetsten Infektionskrankheiten, Pest, Cholera usw. weit hinter der Tuberkulose zurückstehen. Die Statistik lehrt, daß 1/7 aller Menschen an Tuberkulose stirbt und daß, wenn nur die mittleren produktiven Altersklassen in Betracht kommen, die Tuberkulose ein Drittel derselben und oft mehr dahinrafft. Die öffentliche Gesundheitspflege hat also Grund genug, ihre Aufmerksamkeit einer so mörderischen Krankheit zu widmen, ganz abgesehen davon, daß noch andere Verhältnisse, von denen nur die Beziehungen der Tuberkulose zur Perlsucht erwähnt werden sollen, das Interesse der Gesundheitspflege in Anspruch nehmen.

Da es nun zu den Aufgaben des Gesundheitsamtes gehört, die Infektionskrankheiten vom Standpunkte der Gesundheitspflege aus, also in erster Linie in bezug auf ihre Ätiologie, zum Gegenstand von Ermittlungsarbeiten zu machen, so erschien es als eine dringende Pflicht, vor allem über die Tuberkulose eingehende Untersuchungen anzustellen.

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Unter dem Mikroskop zeigen sich nun alle Bestandteile tierischer Gewebe, namentlich die Zellkerne und deren Zerfallsprodukte braun-, die Tuberkelbakterien dagegen schön blaugefärbt. Auch alle anderen bis jetzt von mir daraufhin untersuchten Bakterien, mit Ausnahme der Leprabazillen, nehmen bei diesem Färbungsverfahren eine braune Farbe an. Der Farbenkontrast zwischen dem braungefärbten Gewebe und den blauen Tuberkelbakterien ist so auffallend, daß letztere, welche oft nur in sehr geringer Zahl vorhanden sind, trotzdem mit der größten Sicherheit aufzufinden und als solche zu erkennen sind.

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Die durch dieses Verfahren sichtbar gemachten Bakterien zeigen ein in mancher Beziehung eigentümliches Verhalten. Sie haben eine stäbchenförmige Gestalt und gehören also zur Gruppe der Bazillen. Sie sind sehr dünn und ein viertel bis halb so lang als der Durchmesser eines roten Blutkörperchens beträgt, mitunter können sie auch eine größere Länge, bis zum vollen Durchmesser eines Blutkörperchens, erreichen. Sie be­sitzen in bezug auf Gestalt und Größe eine auffallende Ähnlichkeit mit den Leprabazillen. Doch unterscheiden sich letztere von ihnen dadurch, daß sie ein wenig schlanker und an den Enden zugespitzt erscheinen. Auch nehmen die Leprabazillen bei dem Weigertschen Kernfärbungsverfahren den Farbstoff an, was die Tuberkelbazillen nicht tun. An allen den Punkten, wo der tuberkulöse Prozeß in frischem Entstehen und in schnellem Fortschreiten begriffen ist, sind die Bazillen in großer Menge vorhanden; sie bilden dann gewöhnlich dicht zusammengedrängte und oft bündelartig angeordnete kleine Gruppen, welche vielfach im Innern von Zellen liegen und stellenweise ebensolche Bilder geben, wie die in Zellen angehäuften Leprabazillen. Daneben finden sich aber auch zahlreiche freie Bazillen. Namentlich am Rande von größeren käsigen Herden kommen fast nur Scharen von Bazillen vor, die nicht in Zellen eingeschlossen sind.

Sobald der Höhepunkt der Tuberkeleruption überschritten ist, werden die Bazillen seltener, finden sich nur noch in kleinen Gruppen oder ganz vereinzelt am Rande des Tuberkelherdes neben schwachgefärbten und mitunter kaum noch erkennbaren Bazillen, welche vermutlich im Absterben begriffen oder schon abgestorben sind. Schließlich können sie ganz verschwinden, doch fehlen sie vollständig nur selten und dann auch nur an solchen Stellen, an denen der tuberkulöse Prozeß zum Stillstand gekommen ist.

Wenn in dem tuberkulösen Gewebe Riesenzellen vorkommen, dann liegen die Bazillen vorzugsweise im Innern dieser Gebilde. Bei sehr langsam fortschreitenden tuberkulösen Prozessen ist das Innere der Riesenzellen gewöhnlich die einzige Stätte, wo die Bazillen zu finden sind.

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Fragen wir nun danach, welche weitere Bedeutung den bei der Untersuchung der Tuberkulose erhaltenen Resultaten zukommt, so ist es zunächst als ein Gewinn für die Wissenschaft anzusehen, daß es zum ersten Male gelungen ist, den vollen Beweis für die parasitische Natur einer menschlichen Infektionskrankheit, und zwar der wichtigsten von allen, vollständig zu liefern. Bisher war dieser Beweis nur für Milzbrand erbracht, während von einer Anzahl den Menschen betreffenden Infektionskrankheiten, z. B. von Rekurrens, von den Wundinfektionskrankheiten, Lepra, Gonorrhöe, nur das gleichzeitige Vorkommen der Parasiten mit dem pathologischen Prozeß bekannt war, ohne daß das ursächliche Verhältnis zwischen diesen beiden erwiesen werden konnte. Es läßt sich erwarten, daß die Aufklärungen, welche über die Ätiologie der Tuberkulose gewonnen sind, auch für die Beurteilung der übrigen Infektionskrankheiten neue Gesichtspunkte ergeben, und daß die Untersuchungsmethoden, welche sich bei der Erforschung der Tuberkuloseätiologie bewährt haben, auch bei der Bearbeitung anderer Infektionskrankheiten von Nutzen sein werden. Ganz besonders möchte dies letztere für Untersuchungen über diejenigen Krankheiten gelten, welche wie Syphilis und Rotz mit der Tuberkulose am nächsten verwandt sind und mit ihr zusammen die Gruppe der Infektions-Geschwulstkrankheiten bilden.

Inwieweit die Pathologie und Chirurgie die Kenntnisse über die Eigenschaften der Tuberkuloseparasiten verwerten können, ob beispielsweise der Nachweis der Tuberkelbazillen im Sputum zu diagnostischen Zwecken benutzt werden kann, ob die sichere Bestimmung mancher lokal-tuberkulöser Affektionen auf die chirurgische Behandlung derselben von Einfluss sein wird, und ob nicht möglicherweise auch die Therapie aus weiteren Erfahrungen über die Lebensbedingungen der Tuberkelbazillen Nutzen ziehen kann, das alles zu beurteilen ist nicht meine Aufgabe.

Meine Untersuchungen habe ich im Interesse der Gesundheitspflege vorgenommen, und dieser wird auch, wie ich hoffe, der größte Nutzen daraus erwachsen.

Bisher war man gewöhnt, die Tuberkulose als den Ausdruck des sozialen Elends anzusehen, und hoffte von dessen Besserung auch eine Abnahme dieser Krankheit. Eigentliche gegen die Tuberkulose selbst gerichtete Maßnahmen kennt deswegen die Gesundheitspflege noch nicht. Aber in Zukunft wird man es im Kampf gegen diese schreckliche Plage des Menschengeschlechtes nicht mehr mit einem unbestimmten Etwas, sondern mit einem faßbaren Parasiten zu tun haben, dessen Lebensbedingungen zum größten Teil bekannt sind und noch weiter erforscht werden können. Der Umstand, daß dieser Parasit nur im tierischen Körper seine Existenzbedingungen findet und nicht, wie die Milzbrandbazillen, auch außerhalb desselben unter den gewöhnlichen natürlichen Verhältnissen gedeihen kann, gewährt besonders günstige Aussichten auf Erfolg in der Bekämpfung der Tuberkulose. Es müssen vor allen Dingen die Quellen, aus denen der Infektionsstoff fließt, soweit es in menschlicher Macht liegt, verschlossen werden. Eine dieser Quellen, und gewiß die hauptsächlichste, ist das Sputum der Phthisiker, um dessen Verbleib und Überführung in einen unschädlichen Zustand bis jetzt nicht genügend Sorge getragen ist. Es kann nicht mit großen Schwierigkeiten verknüpft sein, durch passende Desinfektionsverfahren das phthisische Sputum unschädlich zu machen und damit den größten Teil des tuberkulösen Infektionsstoffes zu beseitigen. Gewiß verdient daneben auch die Desinfektion der Kleider, Betten usw., welche von Tuberkulösen benutzt wurden, Beachtung.

Eine andere Quelle der Infektion mit Tuberkulose bildet unzweifelhaft die Tuberkulose der Haustiere, in erster Linie die Perlsucht. Damit ist auch die Stellung gekennzeichnet, welche die Gesundheitspflege in Zukunft der Frage nach der Schädlichkeit des Fleisches und der Milch von perlsüchtigen Tieren einzunehmen hat. Die Perlsucht ist identisch mit der Tuberkulose des Menschen und also eine auf diesen übertragbare Krankheit. Sie ist deswegen ebenso wie andere vom Tier auf den Menschen übertragbare Infektionskrankheiten zu behandeln. Mag nun die Gefahr, welche aus dem Genuß von perlsüchtigem Fleisch oder Milch resultiert, noch so groß oder noch so klein sein, vorhanden ist sie und muß deswegen vermieden werden. Es ist hinlänglich bekannt, daß milzbrandiges Fleisch von vielen Personen und oft lange Zeit hindurch ohne jeden Nachteil genossen ist, und doch wird niemand daraus den Schluß ziehen, daß der Verkehr mit solchem Fleisch zu gestatten sei.

In bezug auf die Milch perlsüchtiger Kühe ist es bemerkenswert, daß das Übergreifen des tuberkulösen Prozesses auf die Milchdrüse von Tierärzten nicht selten beobachtet ist, und es ist deswegen wohl möglich, daß sich in solchen Fällen das Tuberkelvirus der Milch unmittelbar beimischen kann.

Es ließen sich noch eine Anzahl weiterer Gesichtspunkte über Maßregeln aufstellen, welche auf Grund unserer jetzigen Kenntnisse über die Ätiologie der Tuberkulose zur Einschränkung dieser Krankheit dienen könnten, doch würde eine Besprechung derselben hier zu weit führen. Wenn sich die Überzeugung, daß die Tuberkulose eine exquisite Infektionskrankheit ist, unter den Ärzten Bahn gebrochen haben wird, dann werden die Fragen nach der zweckmäßigsten Bekämpfung der Tuberkulose gewiß einer Diskussion unterzogen werden und sich von selbst entwickeln.

Quelle: Dr. R. Koch, „Die Ätiologie der Tuberkulose“, Berliner klinische Wochenschrift, 1882, Jg. 19, 1882, S. 221–30. Online verfügbar unter: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015020075001

Robert Koch, „Die Ätiologie der Tuberkulose“ (1882), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-25> [05.12.2024].