Aus der deutschen Übersetzung von Caroline Herschels Erinnerungen (1877)
Kurzbeschreibung
Im Alter von 22 Jahren zog Caroline Herschel (1750–1848) aus ihrer Geburtsstadt Hannover nach England zu ihrem Bruder Wilhelm, der sich dort niedergelassen hatte. Ursprünglich war ihr Plan, eine Karriere als Musikerin zu machen. Bald begann sie jedoch, Wilhelm, einem aufstrebenden Astronomen, bei seinen Himmelsbeobachtungen zu assistieren und entdeckte dabei selbst zahlreiche Kometen. In diesem Abschnitt aus ihrer Autobiografie (die sie Jahrzehnte nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1822 schrieb) berichtet Herschel, wie sie zur Assistentin ihres Bruders wurde. Die Passage lässt auch erkennen, dass sie in ihren eigenen Beobachtungen unterbrochen wurde, um Wilhelms Arbeit zu dokumentieren, und beschreibt eine Verletzung, die sie erlitt, als sie von dem Teleskop-Gestell herunterfiel.
Quelle
[…] Während der Abwesenheit meines Bruders vom Hause blieb ich allein und unterhielt mich mit meinen eigenen Gedanken, die nichts weniger als freundlicher Art waren. Man suchte mich zum astronomischen Assistenten auszubilden, und um mich zu ermuthigen, hatte ich ein zum Kometensuchen passendes Instrument, einen Tubus mit zwei Gläsern, erhalten, wie sie gewöhnlich dazu benutzt werden. Ich fing an, nach Kometen auszuschauen und ersehe aus meinem Journal, daß ich am 20. August 1782[1] begonnen habe, alle bemerkenswerthen Erscheinungen aufzuzeichnen und zu beschreiben, welche mir bei den Beobachtungen aufstießen, die ich in horizontaler Richtung machte. Aber erst während der letzten zwei Monate desselben Jahres gewann ich etwas mehr Muth, die sternenhellen Nächte auf einem thaugetränkten oder mit Reif bedeckten Rasenplatze, ohne ein menschliches Wesen zuzubringen, das nahe genug gewesen wäre, um meinen Ruf zu hören. Auch wußte ich zu wenig Bescheid am Himmelsgewölbe, um jedes Object ohne das zeitraubende Nachsehen im Atlas bezeichnen und finden zu können. Alle diese Störungen waren nicht vorhanden, wenn mein Bruder in nicht allzugroßer Entfernung mit seinen verschiedenen Instrumenten Doppelsterne, Planeten u.s.w. beobachtete und ich ihn zu Hülfe rufen konnte, wenn ich Nebelflecke oder Sternhaufen auffand, über die ich einen Catalog anfertigen wollte. Aber ich hatte bis zu Ende des Jahres 1783 noch nicht mehr als vierzehn derselben verzeichnet, als mein Suchen ein Ende nahm, weil ich gebraucht wurde, um die Beobachtungen niederzuschreiben, welche mein Bruder mit dem großen Zwanzigfüßigen machte. Indessen ich hatte den Trost zu sehen, daß er mit meinen Bemühungen ihm behülflich zu sein, zufrieden war, mochte es sich nun darum handeln, nach den Uhren zu sehen, ein Memorandum niederzuschreiben, Instrumente herbeizuholen oder fortzubringen, oder mit der Ruthe Messungen auszuführen u.s.w. u.s.w., Dinge, wie sie jeden Moment vorkamen. Mit welchem unglaublichen und unverdrossenen Fleiß die Messungen des Diameter des Georgium Sidus und die Beobachtungen anderer Planeten, Doppelsterne ec. vorgenommen wurden, geht aus den verschiedenen Abhandlungen hervor, welche die Königlich astronomische Gesellschaft im Jahre 1783 von meinem Bruder empfing, Abhandlungen, die während der Tageszeit oder in trüben Nächten geschrieben wurden. Außerdem wurde das zwölfzöllige Spectrum vor dem Frühling vollendet; manche Stunde verging an der Drehbank, und keine Nacht, die nicht klar genug war, um Beobachtungen zu machen, verfloß, ohne daß einige Versuche und Pläne zu Verbesserungen in der Aufstellung und Bewegung der verschiedenen, damals im Gebrauch befindlichen Instrumente, oder Proben mit neu construirten Ocularen gemacht worden wären, die mein Bruder fast alle mit eigner Hand anfertigte. Um Zeit zu ersparen, ließ er einige Arbeiten von einem Uhrmacher ausführen, welcher sich vom Geschäft zurückgezogen hatte und in Datchet wohnte; aber die Arbeit war so schlecht und der Preis so unvernünftig hoch, daß der Mann nicht weiter beschäftigt werden konnte. Erst einige Zeit später, bei seinen öfteren Besuchen der Sitzungen der königlichen Gesellschaft, die in mondhellen Nächten abgehalten wurden, hatte mein Bruder Gelegenheit, sich nach Arbeitern für mathematische Instrumente, nach Optikern und Gießern umzusehen. Aber ihre Arbeit entsprach selten dem, was man erwartet hatte, und so war es Alexander vorbehalten, die verschiedenen Verbesserungen während der wenigen Monate, die er mit uns zubrachte, vorzunehmen und auszuführen.
Der Sommer verging in den thätigsten Vorbereitungen, um das große Zwanzigfüßige bis zum nächsten Winter fertig zu haben. Die Zimmerleute und Schmiede von Datchet waren täglich in Anspruch genommen, und sobald Modelle für Spiegel ec. fertig waren, ging mein Bruder damit nach London, um sie gießen zu lassen. Während der drei oder vier Monate, die Alexander von Bath abwesend bleiben konnte, wurden die Spiegel und die optischen Theile des Instruments so ziemlich vollendet.
Und daß die Nächte, welche so arbeitsamen Tagen folgten, nicht der Ruhe gewidmet waren, geht aus den Beobachtungen des Mars hervor, über welche die Königl. Gesellschaft eine vom 1. December 1783 datirte Abhandlung erhielt. Einige Mühe wurde auch in diesen Nächten mit dem Versuch vergeudet, mich zu lehren, wie man Doppelsterne mit demselben Micrometer, mit dem die erste Messung erfolgte, nachmißt, und man gab mir zu diesem Zwecke den kleinen Zwanzigfüßigen. Auch hatte ich ihre Oerter zu bestimmen und zwar mit Hülfe eines Passage-Instruments, das zu diesem Zwecke von Mr. Dalrympel geborgt war; aber nach manchem vergeblichen Versuche sah man ein, daß dasselbe vielleicht ebenso fehlerhaft war, wie meine Beobachtungen.
8. Juli. Ich fing an, den neuen, kleinen Newton’schen Kometensucher zu benutzen (eine Beschreibung dieses Instruments ist in der Anmerkung zu dem Nebel Nr. 1, V. Classe, am Ende des Katalogs der ersten tausend Nebel enthalten), aber ich hätte kaum geglaubt, daß ich in dem Theile des Himmelsgewölbes, den ich durchforschte, auf irgend einen Kometen stoßen könnte, denn ich pflegte meine Stellung in der Nähe meines Bruders zu nehmen, um gleich bei der Hand zu sein, wenn ich nach den Uhren laufen oder Notizen niederschreiben sollte. Zu Anfang December wurde ich ganz an das Schreibpult gefesselt und hatte von da an selten Gelegenheit, mein neu erworbenes Instrument zu benutzen.
Mein Bruder begann seine Serie von Beobachtungen während das Instrument noch in unfertigem Zustande war, und ich fühlte mich dabei nicht eben in behaglicher Stimmung, denn jeden Augenblick wurde ich durch einen Krach oder Fall aufgeschreckt, und wußte, daß mein Bruder auf einem interimistischen Gerüste von fünfzehn oder mehr Fuß Höhe stand, anstatt auf einer sichern Galerie. Die Staffeln waren noch nicht einmal mit Streben versehen, und in einer windigen Nacht hatte er kaum den Boden erreicht, als der ganze Apparat zusammenbrach. Einige Arbeiter wurden herbeigerufen, um den Spiegel herausholen zu helfen, der glücklicherweise unbeschädigt war, aber die Zimmerleute hatten am nächsten Tage viel zu thun.
Dafür, daß meine Angst vor Unfällen keine ganz eingebildete war, hatte ich in der Nacht des 31. December einen schlimmen Beweis. Der Himmel war bewölkt gewesen, aber gegen zehn Uhr wurden einige Sterne sichtbar, und in größter Eile wurde Alles fertig gemacht, um sie zu beobachten. Mein Bruder, der vor dem Telescop stand, hieß mich in der Bewegung seitwärts etwas ändern, was durch eine Maschinerie geschah, auf welcher der vordere Theil des Rohres und der Spiegel ruhten. An jeder Seite dieser Maschine befand sich ein eiserner Haken, wie ihn die Fleischer zum Aufhängen des Fleisches benutzen, und indem ich im Finstern im fußtiefen, schmelzenden Schnee hinlief, fühlte ich plötzlich, wie ich mir einen dieser Haken oberhalb des Kniees ins Fleisch stieß. Ich konnte meines Bruders Zuruf: „Mach schnell!“ nur durch den kläglichen Schrei: „Ich bin eingehakt!“ erwiedern. Er und der Arbeiter waren augenblicklich bei mir, aber sie konnten mich nicht befreien, ohne daß mir etwa zwei Loth Fleisch aus dem Beine gerissen wurden. Man rief die Frau des Arbeiters, aber diese war zu ängstlich, um etwas zu thun, und so sah ich mich genöthigt, mein eigner Wundarzt zu sein. Ich legte Arkebusade auf und band ein Tuch darum, bis endlich Dr. Lind, der von dem Unfalle hörte, mir eine Salbe und Charpie brachte und mir sagte, wie ich sie anwenden sollte. Nach Verlauf von sechs Wochen fing ich an, für mein Bein zu fürchten und holte noch einmal Dr. Linds Rath ein. Er sagte mir, daß ein Soldat, der eine solche Wunde davon getragen, jedenfalls auf sechs Wochen ins Hospital geschickt worden wäre. Ich hatte indessen die Beruhigung, daß mein Bruder durch diesen Zufall keine Störung in seinen Arbeiten erlitt, denn der Rest der Nacht blieb trübe, mehrere folgende Nächte boten nur kurze, für die Beobachtung günstige Momente, und so war es bis zum 16. Januar nicht nöthig, mich eine ganze Nacht der Strenge der Jahreszeit auszusetzen.
[…]
Anmerkungen
Quelle: Caroline Herschel’s Memoiren und Briefwechsel: 1750-1848. Herausgegeben von Frau John Herschel. Aus dem Englischen von A. Scheibe. Berlin, 1877, S. 65–69.
Quelle des englischen Originaltextes: Caroline Herschel, Caroline Herschel’s Autobiographies, ed. Michael Hoskin. Cambridge, U.K.: Science History Publications Ltd., 2003, pp. 71–77.