Gesammelte Vorworte der ersten drei Ausgaben von Anna Fischer-Dückelmanns Die Frau als Hausärztin (1911)
Kurzbeschreibung
Diese Vorworte zur Hausärztin lassen die Entwicklungsgeschichte eines der größten verlegerischen Erfolge in der modernen deutschen Wissensgeschichte nachvollziehen. Als praktischer Ratgeber auf der Grundlage modernster Wissenschaft kämpfte das Buch gegen zeitgenössische Tabus und half Frauen dabei, ihre Familien zu Gesundheit, Hygiene und Heilung anzuleiten. Das Buch ging von der Voraussetzung aus, dass Frauen sachkundig genug waren, über Gesundheitspraktiken zu lesen, diese zu verstehen und ohne Kontrolle durch Haus- oder Klinikärzte anzuwenden. Diese Unabhängigkeit machte nicht wenigen medizinischen Fachleuten im Deutschen Kaiserreich zu schaffen, doch die Autorin und Leserinnen der Hausärztin ließen sich davon nicht abschrecken.
Quelle
Vorwort.
Der Zweck des vorliegenden Buches ist, eine Fülle von praktischen Ratschlägen, Lebensregeln und Warnungen zur Erhaltung und Wiedergewinnung der körperlichen und seelischen Gesundheit den Frauen auf ihren oft so dornenvollen Lebensweg mitzugeben. Wir glaubten dies am besten zu erreichen, wenn wir ermüdende theoretische Abhandlungen, unverständliche oder abschreckende Abbildungen oder Erklärungen recht seltener krankhafter Zustände, die den Frauen nicht den geringsten Nutzen bringen, möglichst vermeiden und dafür Wort und Bild den Anforderungen des Lebens, das ja so mannigfaltig ist, anzupassen suchen. Möchte uns dies gelungen sein!
Daß wir dabei Erklärungen und kurze wissenschaftliche Begründungen nicht ganz vermeiden konnten, wird jedem begreiflich erscheinen, der sich vorhält, daß ein Buch wie dieses auch belehren soll und den Ansprüchen der Leser verschiedener Bildungsstufen genügen muß. Wir bitten daher unsere Leserinnen im eigenen Interesse, nichts zu überschlagen, sondern die grundlegenden Kapitel des ersten Teiles, namentlich den Abschnitt über die Ernährung, mit besonderer Aufmerksamkeit zu lesen. Erst dann kann der dritte Teil seinen Zweck vollständig erfüllen, nicht minder der zweite, der zwar den kleinsten Umfang erhielt, aber den Müttern unentbehrlich ist.
Wenn Gegner unserer Richtung uns vielleicht den Vorwurf machen, daß wir in der „Hausärztin“ im Gegensatz zu anderen ähnlichen Werken zu viel „Selbsthilfe“ gelehrt haben und dadurch eine angeblich schädliche Bestrebung unserer Zeit unterstützen, oder daß wir in unseren Bildern zu viel Nacktheit bringen und daher auch gefährlich wirkten – so antworten wir: unsere Zeit hat die Befreiung von der über Leben und Gesundheit gebietenden Autorität des Arztes der alten Art angebahnt; das Volk hat angefangen, sich selbst helfen zu wollen, und jeder einsichtsvolle Arzt, der für Interessen der Menschheit wirkt und nicht nur für seine Zunft, wird dieses Bestreben als einen glückbringenden Fortschritt freudig begrüßen und ihm alle seine Kräfte weihen. Auch ist es ein Irrtum, zu glauben, der Arzt säge durch Unterstützung den Ast selbst ab, auf dem er sitzt; es ändert sich nur einerseits die Art seiner Tätigkeit, indem er mehr ein Hüter der Gesundheit wird, statt wie bisher ausschließlich aus dem Elend seiner kranken Mitmenschen Nutzen zu ziehen; anderseits ist der wissenschaftlich und praktisch ausgebildete Arzt unter den heutigen traurigen Gesundheitsverhältnissen so notwendig, daß er trotz aller Selbsthilfe der Laien nie ganz entbehrlich werden wird. Um laienhafte Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten zu verhüten, habe ich daher, wo es notwendig erschien, immer auf die Gefahr der Selbstbehandlung hingewiesen und stets die Zuziehung des fachgebildeten Arztes betont.
Was den zweiten Vorwurf anbelangt, so habe ich es gerade als eine der Aufgaben eines solchen Buches betrachtet, angesichts der im Niedergang begriffenen Schönheit des menschlichen Körpers und des immer mangelhafter werdenden Natursinnes auf gewisse Grundlagen zurückzuführen, um auf das noch von Krankheit, Vorurteil und Unwissenheit umgebene weibliche Geschlecht befreiend und erhebend einzuwirken. Diejenigen, die unser Buch mit reinem Sinn und vorurteilslosem Geiste prüfen, wissen auch, daß man Gesundheit und Schönheit nur an der Hand der Natur wiederfinden kann, daß daher auch der nackte menschliche Körper nichts Abschreckendes oder Verbotenes an sich hat, sondern nur etwas Ungewohntes geworden ist. Von diesem Standpunkte aus prüfe man unsere Abbildungen und erfreue sich zuerst an unseren nackten Kindern, welche den Sinn für Natürlichkeit am raschesten zu wecken geeignet sind.
Im übrigen wollen wir helfen und heilen und nicht bloß interessieren!
Möge nun das Werk für sich selbst sprechen und die Aufgaben, die wir uns gestellt haben, erfüllen.
Dresden-Loschwitz, Malerstr.18.
Anna Fischer-Dückelmann
In Zürich promoviert.
Vorwort zum fünften Hunderttausend.
Wenige Jahr nach dem Erscheinen unseres Buches sind wir schon beim fünften Hunderttausend angelangt. Zehn fremdsprachige Übersetzungen liegen vor uns, bis in ferne Weltteile lesen Frauen die „Hausärztin“ in ihrer Muttersprache und werden angeregt, über hygienische Mißbräuche nachzudenken, die leider in keinem Lande fehlen.
Abermals haben Verlag und Autorin keine Anstrengungen gescheut, Verbesserungen und Verschönerungen des Werkes nach allen Richtungen vorzunehmen. So entstanden viele Ergänzungen des Textes, und eine bedeutende Bereicherung des Buches an Illustrationen und Kunstbeilagen, die größtenteils dem Leben nachgebildet sind. Praktisch zusammengestellte Kräutertafeln sind beigefügt worden, der Gymnastik für das weibliche Geschlecht wurde eingehende Beachtung geschenkt, so daß mancher kränklichen Leserin die Möglichkeit gegeben ist, sich auch ohne Unterricht die so wohltätige körperliche Ausarbeitung zu schaffen.
Eine neue farbige Kunsttafel über Hautkrankheiten befähigte jede ernste Leserin, in Erkrankungsfällen sich selbst Klarheit zu schaffen, bevor der Arzt geholt wird, und das Bild „Taulaufen“ wird manche Mutter und Hüterin der Gesundheitspflege anregen, zur Abhärtung der Ihrigen es nachzuahmen. Ungemein warm und dankbar wurde die Hausärztin von Frauen und Männern aus allen Volkskreisen aufgenommen, was zahlreiche Zuschriften beweisen, und sowohl die Presse, wie die Ärztewelt erfreuten uns durch anerkennende Urteile.
Möchte dieses fünfte Hunderttausend unseres „Frauenbuches“ weitere Kreise erobern, Aufklärung und Veredlung der Sitten, wo es nottut, anbahnen helfen!
Dresden, Stuttgart, im Herbst 1908
Verfasserin und Verlagshandlung.
Begleitwort zur 750 000-Jubiläums-Ausgabe.
Wiederum hat die Hausärztin ihren Einzug in neue Tausende von Familien gehalten und ist in stärkerem Absatze als je zuvor an ihrem ¾ Million-Jubiläum angelangt. Nach wie vor war es das Bemühen der Verfasserin, statt einer unfruchtbaren Polemik und statt der Hervorhebung heute noch vorhandener Gegensätze in den verschiedenen Heilmethoden für das Haus nur praktisch Verwendbares und durch die Erfahrung Bewährtes zu bringen. Ermüdende theoretische Abhandlungen, für Laien abstoßend wirkende Abbildungen aus streng wissenschaftlichen Werken entnommen, die nur für das Auge des Arztes bestimmt sind und bei kranken Lesern nur Unheil anrichten, blieben aus der Hausärztin wie bisher ausgeschlossen. Insbesondere gilt dies für die Abbildungen der Geschlechtskrankheiten, die sich in der letzten dreistesten Nachahmung unseres Werkes ganz besonders breit machen. Auch hier sei daher wiederholt, daß die Hausärztin, die heute in 13 Kultursprachen Hunderttausende von Familien vernünftige Gesundheitspflege lehrt, kein ärztliches Lehrbuch ist, sondern ein Hausbuch, das der Frauenwelt gab, was ihr bisher von weiblicher Feder fehlte. Die dabei von einzelnen ärztlichen Gegnern zutage getretenen Anfeindungen kann die Verfasserin mit ebensoviel Entschiedenheit wie Ruhe zurückweisen. Sie hat die Beweise vor sich, wie von rückständigen, den großen Reformbewegungen der Neuzeit feindlich gesinnten Arztkreisen gerade unser von dieser Seite geschmähtes Werk als Vorlage zu unlautersten Nachahmungen von Titel, Ausstattung und Inhalt benützt wurde. – Eine größere Blöße konnten sich unsere Gegner nicht geben! –
Auf die zuletzt verflossenen Jahre zurückblickend sei noch erwähnt, daß die Hausärztin auf den letzten hygienischen Ausstellungen die höchsten Auszeichnungen errang und zwar in Leipzig und Berlin Diplome und goldene Medaillen, in Paris, in der unter dem Protektorat des französischen Arbeitsministers stattgehabten hygienischen Ausstellung den Grand Prix, eine Auszeichnung, die vorher keinem deutschen Buche zuteil wurde; dieselbe Anerkennung durch Verleihung des Grand Prix erlangte das Werk bei der im Vorjahr stattgehabten Weltausstellung in Brüssel. Auch in die Hausbibliotheken S. M. des Deutschen Kaisers, S. M. des Kaisers von Oesterreich und der Staatsoberhäupter fast aller anderen Kulturstaaten wurde das Werk aufgenommen.
Um die neue Auflage noch mehr zu vervollkommnen, haben wir nicht nur zahlreiche Ergänzungen hinzugefügt, sondern auch die Heilkräuterkunde in übersichtlicher Form bearbeitet und neue Tafeln beigegeben. Das Kapitel „Erste Hilfe bei Unglücksfällen“ ist bedeutend erweitert und mit Abbildungen versehen, welche die Brauchbarkeit der weiblichen Hilfskräfte dartun. Ein neues Album mit zerlegbaren anatomischen Modellen nach den Angaben der Verfasserin von einem der ersten Künstler auf anatomischen Gebiete angefertigt, hat die Aufgabe, die körperlichen Unterschiede von Mann und Weib leichtfaßlich darzustellen und dadurch die einschlägigen Erläuterungen der Hausärztin zu ergänzen.
So schicken wir die Hausärztin in ihrer schönen Neugestalt hinaus in der Zuversicht, daß ihr auch fernerhin günstige Sterne scheinen, und mit dem Wunsche, daß das Gute in ihr wirken möge, wie es bisher zum Segen Ungezählter gewirkt hat.
Dresden, Stuttgart, im Februar 1911.
Verfasserin und Verlagshandlung.
Quelle: Anna Fischer-Dückelmann, Die Frau als Hausärztin: ein ärztliches Nachschlagebuch der Gesundheitspflege und Heilkunde in der Familie, mit besonderer Berücksichtigung der Frauen- und Kinderkrankheiten, Geburtshilfe und Kinderpflege. Stuttgart: Süddeutsches Verlags-Institut, 1911, S. V–X. Online verfügbar unter: https://archive.org/details/diefraualshaus00fiscuoft