Kameradschaft an der Front (Rückblick, 1967)

Kurzbeschreibung

Guy Sajer (Pseudonym für Guy Mouminoux, geboren 1927) war ein deutsch-französischer Soldat, der in der Elite-Panzergrenadierdivision „Großdeutschland“ der Wehrmacht kämpfte. In diesem Bericht, der 1967 erstmals in französischer Sprache veröffentlicht wurde, beschreibt Sajer, wie „deutsche“ Soldaten verschiedener ethnischer Herkunft sich mit Deutschland und dem deutschen Projekt identifizierten—ohne dabei die deutschen Verbrechen zu reflektieren. Seine Memoiren gehörten während eines Großteils der Nachkriegszeit zur grundlegenden Lektüre in den Militärakademien.

Quelle

Prolog

18. Juli 1942. Ich komme nach Chemnitz, in eine riesige, ganz weiße Kaserne, die wie ein Zirkus gebaut ist. Ich bin sehr beeindruckt, eine Mischung aus Bewunderung und Angst. Auf meinen Wunsch hin werde ich der 26. Staffel des Sturzkampfgeschwaders von Kommandant Rudel zugeteilt. Leider schickt man mich nach einer Reihe von Luftwaffentests wieder weg; die wenigen Augenblicke an Bord einer Ju-87 bleiben mir aber als wunderbare Erinnerung. Wir leben mit einer Intensität, wie ich sie noch nie zuvor empfunden habe. Jeder Tag bringt etwas Neues. Ich habe eine brandneue Uniform in meiner Größe bekommen, außerdem ein Paar Stiefel, zwar nicht mehr ganz neu, aber in sehr gutem Zustand. Ich bin sehr stolz auf mein Aussehen. Die Verpflegung ist gut. Ich lerne einige Soldatenlieder, die ich mit einem schauderhaften französischen Akzent schmettere. Die anderen Soldaten, die meine ersten Kameraden an diesem Ort sein werden, lachen.

Die Ausbildung bei der Infanterie, der ich zugeteilt wurde, ist weit weniger lustig als das Leben eines Fliegers. Die Hindernisbahn ist das Härteste, das ich bisher erlebt habe. Ich bin völlig erschöpft; mehrere Male schlafe ich in der Kantine ein. Trotzdem kann ich mich dafür begeistern; in mir ist eine große Freude, die ich – vor allem im Hinblick auf meine früheren Befürchtungen – nicht ganz verstehe. Am 15. September verlassen wir Chemnitz und seine Umgebung. Wir marschieren nach Dresden – vierzig Kilometer –, wo wir auf einen Zug Richtung Osten verladen werden.

Wir durchqueren einen großen Teil Polens. In Warschau haben wir einige Stunden Aufenthalt. Mit meiner Abteilung besichtige ich die Stadt, vor allem das berühmte Ghetto, oder besser, was davon übrig ist. Wir kommen in ziemlicher Unordnung zurück. Alle haben fröhliche Gesichter. Auch die Polen lächeln uns an, vor allem die jungen Mädchen; einige ältere und mutigere Soldaten werden von den Mädchen sogar bis an den Zug gebracht, der sich erneut in Bewegung setzt und schließlich endgültig in Brest-Litowsk Halt macht.

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Selbstsicheren Schrittes steuere ich auf ein Gebäude zu, das wie ein Rathaus aussieht. Auf einem Schild steht mit schwarzer Farbe auf weißem Grund: „Soldatenschenke 27. Kompanie“. Alle Augenblicke gehen Landser ein und aus. Da es keine Ordonnanz gibt, trete ich ein und durchquere einen Raum, in dem drei Landser Verpflegungskisten auspacken. Es folgt ein weiterer Raum mit einer Theke im hinteren Bereich, an der drei oder vier Soldaten stehen und sich unterhalten. „Kann ich etwas Warmes bekommen? Ich habe einen Offizier hierhergebracht, gehöre aber nicht zur 27.“

„Hm“, brummt der Mann hinter der Theke, „schon wieder so ein Elsässer, der so tut, als könnte er Deutsch sprechen“.

Es ist offensichtlich, dass mein Deutsch furchtbar schlecht ist.

„Ich bin kein Elsässer, sondern halber Deutscher, durch meine Mutter“, erkläre ich.

Den Landsern ist das egal. Der hinter der Theke verschwindet in der Küche. Ich bleibe dort stehen, mitten im Raum, in meinen großen grünen Mantel gehüllt. Fünf Minuten später kommt er mit einer dampfenden, zur Hälfte mit Ziegenmilch gefüllten Schüssel zurück. Der komische Kauz gibt noch einen ordentlichen Schuss Alkohol dazu und reicht mir die Schüssel, ohne ein Wort zu sagen.

Es ist siedend heiß, aber ich trinke es in einem Zug, während mir alle anderen zusehen. Ich habe den Geschmack von Alkohol nie gemocht, trinke aber Schluck für Schluck den ganzen Liter, um nicht wie ein Mädchen dazustehen.

Ohne zu salutieren verlasse ich den Proleten-Haufen und gehe hinaus in die Kälte. Diesmal habe ich den Eindruck, dass der polnische Winter angekommen ist. Der Himmel ist immer noch bedeckt, aber das Thermometer zeigt sechs Grad unter Null.

Ich weiß nicht recht, wohin ich gehen soll. Auf dem Platz ist kaum ein Mensch zu sehen. In den Häusern dürften die Polen es sich an einem schönen Feuer gemütlich machen. Ich gehe also zu dem Wagenpark, wo sich einige Soldaten an den Fahrzeugen zu schaffen machen. Ich wechsele ein paar Worte mit ihnen. Ihre Antworten kommen lustlos. Wahrscheinlich bin ich ihnen zu jung, sie sind gute dreißig Jahre alt. Während ich etwas unschlüssig von einer Gruppe zur anderen gehe, sehe ich drei bärtige Männer in langen, dunkelbraunen Umhängen, die dabei sind, einen Baumstamm mit einer großen Schrotsäge zu zerkleinern. Ich habe diese Uniformen noch nie gesehen.

Lächelnd gehe ich auf sie zu und frage etwas belanglos: „Na, wie geht‘s?“ Als Antwort unterbrechen sie das Sägen und richten sich auf. Unter ihren dichten Bärten erahne ich ein Lächeln. Einer von ihnen ist ein großer und breiter Kerl, die anderen beiden sind untersetzt und gedrungen. Ich stelle noch zwei oder drei weitere Fragen, die ohne Antwort bleiben. Diese Kerle begnügen sich damit zu lächeln. Ich habe den Verdacht, dass sie sich über mich lustig machen. In diesem Augenblick höre ich hinter mir Schritte und gleich darauf eine Zurechtweisung: „Lass sie in Ruhe! Sieht so aus als weißt du nicht, dass es verboten ist mit ihnen zu reden – außer für Befehle natürlich.“

„Jedenfalls haben diese Wilden mir nicht geantwortet. Ich frage mich, was die überhaupt in der Wehrmacht zu suchen haben!“, antworte ich.

„Teufel!“, grinst der Bursche, der gekommen ist, um mich anzuschnauzen. „Man merkt, dass du noch nicht im Feuer gestanden hast. Das sind Gefangene! Russische Gefangene. Und wenn du jemals an die Front kommst und so einen siehst, bevor er dich entdeckt, dann schieß, schieß ohne zu zögern, sonst siehst du keinen zweiten mehr.“

Ich bin ziemlich vor den Kopf gestoßen und schaue noch mal zu den Russen hin, die ihre Sägerei fortgesetzt haben. Das sind also unsere Feinde, diejenigen, die auf die deutschen Soldaten schießen! Auf die Soldaten, die meine Uniform tragen. Aber warum haben sie mir dann zugelacht?

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Wir sind wieder unten im Hof, in diesem verdammten Regen. Jeder bekommt einen registrierten Mauser Karabiner und fünfundzwanzig Patronen. Ich weiß nicht, ob es damit zusammenhängt, dass wir die Waffen bekommen haben, aber wir werden alle immer bleicher. Ohne Zweifel sind wir entschuldigt: Keiner meiner Kameraden ist älter als achtzehn Jahre. Was mich betrifft, so werde ich in zweieinhalb Monaten sogar erst siebzehn. Der Leutnant bemerkt unsere Niedergeschlagenheit. Um unsere Moral zu heben, liest er uns den jüngsten Wehrmachtsbericht vor: Paulus steht an der Wolga, die Heeresgruppe Mitte ist nicht weit entfernt von Moskau, die Anglo-Amerikaner haben schwerste Verluste bei ihren Angriffen auf die deutschen Städte erlitten. Wir schreien „Sieg Heil!“, und unser Leutnant ist zufrieden. Die ganze 19. Kompanie ist jetzt unter der Fahne angetreten.

Laus, unser Feldwebel, ist ebenfalls da, in Stahlhelm und voller Ausrüstung; an der Seite trägt er eine große MP in einem schwarzen Lederfutteral, das im Regen glänzt. Alle sind wir still, dann wird der Befehl zum Abmarsch erteilt; es klingt wie der gellende Pfiff, der einen Zug in Bewegung setzt. „Stillgestanden! Rechtsum! Im Gleichschritt marsch!“

In Dreierreihen verlassen wir die Burg, die für die dreihundert Mann unserer Kompanie die Stätte der ersten Kameradschaft in der Wehrmacht war. Wir marschieren ein weiteres Mal über die Steinbrücke auf die Straße, auf der wir vor anderthalb Monaten hergekommen sind. Mehrere Male drehe ich mich um und werfe einen Blick zurück auf die imposante graue Masse der alten polnischen Burg, die ich nie mehr wiedersehen werde, und ich hätte mich leicht der Melancholie hingegeben, wären meine Kameraden nicht an meiner Seite gewesen um mich aufzuheitern.

Der Regen hat aufgehört. Wir erreichen Bialystok, ein grünes Meer von Soldaten, und gehen in Richtung Bahnhof.

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Sechzehntes Kapitel. Von Polen nach Ostpreußen
Der Volksturm. Die Invasion

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„Das ist der totale Krieg“, fuhr er fort. „Er ist unmenschlich. Niemand bleibt verschont, und als deutsche Soldaten müssen wir eben alles ertragen können.“

Sperlowski hatte sich entfernt, mit abwesendem Blick, die Gedanken durcheinander, der Schritt unsicher wie bei einem Betrunkenen.

Der deutsche Soldat musste eben alles ertragen können in dieser Welt, die er selbst geschaffen hatte. Und er war nur für diese Welt gemacht. Für alles andere war er ungeeignet. Lensen war starr wie ein Stein, er lauschte dem Alten, und sein Gesicht zeigte eine verbissene Härte.

„Gilt das für alle unsere Städte?“, fragte der ängstliche Lindberg.

Er dachte sicher an seine Heimatstadt und seinen Bodensee.

„Davon weiß ich nichts“, antwortete der Alte, „aber möglich ist es.“

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Wir fanden uns kurz darauf in einem der wenigen Züge wieder, die in dieser Gegend noch verkehrten, und rollten durch den ersten Raureif des dritten Kriegswinters in Richtung Ostpreußen. Für manche war es der fünfte oder der sechste. Wir fuhren bei Nacht und ohne Lichter, denn die russische Luftwaffe, die unsere Stützpunkte in Polen besetzt hielt, war bei Tag besonders angriffslustig. Wir fuhren in Richtung Preußen, Litauen, Lettland und Kurlandfront, wo sich die Überbleibsel einiger deutscher Divisionen noch immer hielten.

Durch die Dunkelheit und den dichten Nebel konnten wir riesige Menschenmassen erkennen, die sich zu Fuß durch die einsamen Weiten Nordpolens bewegten. Wir dachten zuerst anmarschierende Infanterieeinheiten, doch als wir nahe genug vorüberfuhren, konnten wir sehen, dass es sich um Zivilisten handelte. Tausende von Zivilisten auf dem Exodus, auf der Flucht durch Nacht und Nebel vor der roten Horde, die man schon im Nacken fühlte. Wir konnten uns nicht damit aufhalten den Leuten zuzusehen, aber wir konnten uns ihre Lage sehr gut vorstellen.

Dann fuhren wir über die preußische Grenze. Wir warfen einen Blick auf das Land, in dem Lensen und auch Smellens zu Hause waren, zwei echte Preußen, die sich plötzlich wieder auf heimatlichem Boden befanden. Lensen war aufgestanden und lehnte sich aus der kleinen Tür des Güterwagens, um sein Land besser sehen und aufmerksam betrachten zu können. Uns ließ es ziemlich kalt. Für uns sah es kaum anders aus als in Polen. Vielleicht gab es etwas mehr Seen und immer noch viele Wälder.

„Das müsste man verschneit sehen“, rief Lensen, der plötzlich sein Lächeln wiedergefunden hatte. „So wirkt es gar nicht.“

Da wir weiter schweigsam und mürrisch blieben, fuhr Lensen uns an.

„He, was ist los? Ihr seid in Deutschland, Herrgott, wacht auf! Wie lange habt ihr euch das gewünscht!“

„In Ostdeutschland! Wir sind ganz im Osten, fast an der Front. Übrigens weiß ich nicht, ob es euch bewusst ist, aber ich habe einen Kompass und stelle fest, dass wir nach Nordosten rollen. Das ist überhaupt nicht gut“, bemerkte Wiener.

Lensen wurde einmal mehr rot vor Zorn.

„Ihr seid nichts als räudige Hunde“, brüllte er wie ein Verrückter. „Ihr Defätisten seid schuld an der ganzen Misere. In euren weichen Birnen ist der Krieg schon verloren, aber ihr müsst euch verdammt nochmal wehren! Ob ihr wollt oder nicht.“

„Halt‘s Maul“, schrien fünf oder sechs Stimmen. „Die sollen uns ein normales Soldatenleben führen lassen, dann gewinnen wir wieder die Oberhand.“

„Nein, Hunde seid ihr. Seit ich euch kenne, seid ihr am Jammern. Seit Woronesch ist für euch der Krieg verloren.“

„Aus gutem Grund“, sagte Halls.

„Ihr werdet kämpfen, das sage ich euch, um jeden Preis, denn es gibt keinen anderen Ausweg.“

Der Alte richtete sich auf.

„Wir werden schon kämpfen, Lensen, denn keiner kann hier den Gedanken an die Niederlage ertragen. Leider haben wir auch keine Alternative mehr. Ich jedenfalls kenne keine. Ich bin Teil einer Maschine geworden, die in eine Richtung walzt, aus der sie längst nicht mehr umkehren kann. Ich bin zu lange dabei, verstehst du.“ Sprachlos sahen wir den Alten an. Wir hatten alle gedacht, dass der Alte imstande wäre, sich an jede andere Lebensweise zu gewöhnen. Und jetzt verkündete ausgerechnet er, dass der Krieg, der ihn schon so viel gekostet hatte, so sehr zu seinem Leben geworden war, dass er sich nichts anderes mehr vorstellen konnte.

Lensen brummte weiter vor sich hin, und wir blieben ratlos hinsichtlich der Zukunft, die der Alte, dem wir immer großes Vertrauen entgegenbrachten, angedeutet hatte. Was mich anging, so erschien mir Frankreich, von diesem Preußen aus gesehen, durch das wir jetzt fuhren, in bedeutungslose Ferne gerückt. Diese Sache, von der Wiener eben gesprochen hatte, das war die meine. Und trotz allem, was ich mitgemacht hatte, fühlte ich mich eng mit ihr verbunden. Ich wusste, dass der Kampf immer ernster werden musste und wir uns auf schreckliche Dinge würden einstellen müssen. Ich fühlte mich, ohne Zwang, solidarisch mit meinen Kameraden. Ich sah ernst und gefasst meinem Ende entgegen, ohne allzu sehr zu zittern. Es war wie ein schmerzlindernder Schleier, der langsam auf mich fiel und meine vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ängste dämpfte. Mein Kopf schien von einem dichten milchig-weißen Nebel erfüllt, ohne Fröhlichkeit zwar, aber dafür wurde alles plötzlich so leicht … Ob die Anderen das Gleiche empfanden? Ich konnte es nicht genau sagen, doch schienen wir alle von einer ähnlichen Gelassenheit zu sein.

Wir fuhren mehrere Stunden mit verlangsamtem Tempo. Dann hielt der Zug im grauen Licht eines nebligen Morgens. Kommandos riefen uns aus den Waggons, und wir erreichten ein Lager aus Holzbaracken, dem man noch die stramme militärische Organisation anmerkte, die man seit neuestem aufgegeben hatte. Man gönnte uns eine Stunde Ruhe, und wir bekamen einen Becher heißes Wasser, in dem einige Sojabohnen schwammen.

„Wenn ich daran denke, dass es Leute gibt, die sich wegen des Futters freiwillig zur Armee melden“, murmelte ein Soldat.

„Von denen kann es nicht mehr allzu viele geben in diesen Zeiten“, antwortete eine Stimme. „Die meisten machen es nicht mehr lange genug, um überhaupt darauf hoffen zu können Offizier zu werden. Selbst zum Obergefreiten reicht kaum noch die Zeit, und man bekommt die ersten Streifen meist schon posthum.“

Einige konnten trotz der Tragik darüber lachen. Dann ließ uns ein Major, wahrscheinlich der Lagerkommandant, antreten und schwang eine Rede.

„Stolze Soldaten der Division Großdeutschland“, titulierte er uns. „Eure Ankunft in unserem Abschnitt erfüllt uns mit großer Freude. Wir kennen eure Tapferkeit im Kampf, und wir wissen diese Unterstützung sehr zu schätzen. Eure Kameraden von den Infanterieregimentern, die in den polnischen Wäldern nahe unserer Grenze kämpfen, empfinden gewiss das Gleiche, was ich hier zum Ausdruck bringe. Dass ihr hier unter uns seid, gibt uns mächtigen Auftrieb und hilft uns bei der schwierigen Aufgabe, die uns zufällt: die Verteidiger der deutschen und europäischen Freiheit zu sein. Eine Freiheit, die uns die Bolschewiken mit den abwegigsten Mitteln zu entreißen suchen. Heute mehr denn je muss unsere Eintracht im Kampf total und entschieden sein. Mit euch gemeinsam werden wir den entscheidenden Wall errichten, der der sowjetischen Meute Einhalt gebietet. Denkt daran, deutsche Soldaten, dass ihr die Vorkämpfer der europäischen Revolution seid und dass ihr stolz sein müsst, für diese Aufgabe auserwählt zu sein, sei sie auch noch so schwer. Ich wünsche euch also den größten Ruhm und übermittle euch die Glückwünsche des Oberkommandos und des Führers. Fahrzeuge und Lebensmittel sind eigens zu eurer Verfügung bereitgestellt, um euch zu helfen, eure Mission zu vollenden. Ich bin sicher, dass solange ein deutscher Soldat Wache hält, kein Bolschewik unseren Boden betreten wird. Heil Hitler!“

Wir sahen den strammen Major in seiner schönen Uniform verdattert und benommen an und versuchten den Schleier der Ahnungslosigkeit zu zerreißen, der uns offenbar unseren wahren Wert verbarg.

„Heil Hitler!“, brüllte ein Feldwebel, als er sah, dass der Gruß, den wir dem Major erwidern mussten, nicht auf Anhieb kam.

„Heil Hitler!“, schrien wir alle.

Dann durften wir uns rühren.

„Ich hör wohl nicht recht“, murmelte Kellermann. „Der hat uns gebraucht, damit wir seine Moral stärken?“

„Schnauze!“, zischte Prinz, „es kommt noch eine Rede.“

Diesmal war es ein Hauptmann, der das Wort ergriff.

„Ich habe die Ehre, zwei Drittel eures Regiments unter mein Kommando zu nehmen und an meiner Seite ins Feuer zu führen.“ Jeder wusste, was uns erwartete, aber bei diesem Satz mussten wir doch schlucken. „Die gesamte Division wird in einem etwas weiter nördlich gelegenen Abschnitt operieren. Sie wird in mehrere Teilabschnitte aufgeteilt werden, um breit gestreute Vorstöße gegen den hier besonders starken russischen Keil vorzutragen. Ich erwarte von euch größte Tapferkeit und dass ihr über euch hinaus wachst. Wir müssen den Russen in diesem Abschnitt zum Stehen bringen. Jede Nachlässigkeit, jeder Mangel an Kaltblütigkeit ist unverzeihlich. Drei Offiziere können in jedem Augenblick ein Kriegsgericht bilden und auf der Stelle das Urteil vollstrecken …“ (Frösch, mein armer Frösch! Wie viele waren es, die beschlossen, dich zu hängen?) „Wir werden hier siegen oder ewig mit der Schande leben. Niemals, hört ihr, niemals wird ein Bolschewik deutschen Boden betreten. Jetzt, Kameraden, habe ich gute Nachrichten für euch. Es gibt Post, Auszeichnungen und für manche auch Beförderungen. Bevor ihr eurer Freude freien Lauf lasst, müsst ihr euch aber im Magazin melden, um Proviant und Munition in Empfang zu nehmen. Wegtreten! Heil Hitler!“

Wir zerstreuten uns, ohne die Situation klar zu erfassen.

„Das wird was Schönes geben“, sagte ich.

„Eine Drecksau ist das, die uns wünscht, dass wir alle krepieren“, knurrte Halls. Wir standen jetzt in einer endlosen Schlange vor einer großen Baracke.

„Und so was soll Wesreidau ersetzen. Ich sage euch, da wird was auf uns zukommen, das so noch nicht dagewesen ist, Prinz.“

„Unmöglich, wir haben alles gesehen.“

„Das ist ein Irrer“, murrte Halls.

„Nein, er hat recht“, warf einer hinter uns ein.

Wir drehten uns bestürzt um.

„Er hat recht“, fuhr der Alte fort, „wir stoppen sie hier oder niemals. Ich kann euch das nicht so ohne Weiteres erklären, aber er hat recht.“

In zunehmender Verwirrung musterten wir wortlos unseren Kameraden, ohne seine plötzlich geänderte Haltung zu verstehen.

„Ich komme darauf zurück“, fuhr Wiener fort. „Ich komme darauf zurück. Im Moment könnt ihr das noch nicht begreifen.“

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Neunzehntes Kapitel. Der Westen
Hela. Dänemark. Kiel. Die Engländer. Gefangen.

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Auch die Amerikaner demütigten uns, doch das gehörte wohl dazu. Wir wurden in einem großen Lager zusammengezogen, das nur einige riesige Zelte besaß, die kaum ein Zehntel von uns aufnehmen konnten. Selbst in der Gefangenschaft hörte die Wehrmacht nicht auf zu organisieren. Die Schwächsten und die Kranken bekamen das Dach über dem Kopf, wie in Charkow, wie an den Ufern des Dnjepr, wie in Memel oder in Pillau, wie in den dunklen Wintern der Steppe, wo wir erfahren hatten, was Leiden bedeutete.

Die Amerikaner rissen mitten im Lager große Kisten voller Konservendosen auf. Mit den Füßen stießen sie die Haufen mit Lebensmitteln auseinander, entfernten sich voller Verachtung und überließen uns die Aufgabe des Verteilens. Jeder bekam seinen Anteil. Das Essen war köstlich, und wir achteten gar nicht auf den heftigen Regen, der den Boden in einen Schwamm verwandelte.

Die Kisten voller Brausepulvertüten mit Orangen- und Zitronengeschmack waren der Gipfel des Luxus für uns. Es war eine fröhliche Ablenkung, in den Falten unserer Kleidung Wasser zu sammeln, um das schmackhafte Getränk zuzubereiten. Von ihrer Absperrung aus beobachteten einige Amerikaner unser Treiben und tauschten ihre Einschätzungen aus. Wahrscheinlich verachteten sie uns, weil wir derartig über solche elementaren Dinge herfielen. Vielleicht hielten sie uns auch für Feiglinge, dass wir die Bedingungen der Gefangenschaft und die Verpflegung mitten im Regen über uns ergehen ließen, ohne unsere Unzufriedenheit zu äußern. Dabei hätte allein unsere Lage als Gefangene Erklärung genug sein müssen dafür, warum wir so wort- und widerspruchslos umherliefen, mit jenen unerträglichen Mienen von Menschen, deren Stolz angekratzt war. Wir ähnelten in nichts den Dokumentarfilmen über die deutschen Truppen, die unsere charmanten Bewacher vermutlich zu Hause zu sehen bekommen hatten, bevor man sie ins Feld geschickt hatte. Kein überheblicher und jähzorniger Boche, kein Anlass einzuschreiten. Nichts als Unterernährte, die es hinnahmen, stehend und im Regen, aber gierig ungewürzte Konserven zu verschlingen. Nichts als Sterbende, die mit ruhigen Gesichtern Rücken an Rücken auf ihren Pritschen schliefen. Nichts als Verwundete und Kranke, die nicht einmal Pflege beanspruchten und die sich offenbar schon glücklich schätzten, nur lange schlafen zu können. Das war natürlich deprimierend für die eifrigen Sieger, die bei den Besiegten nichts als Demut vorfanden.

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Etwas später traten die Gefangenen in langen Reihen zu einer Untersuchung an. Manche kamen ins Lazarett, andere liefen von einem Büro zum nächsten, bis ein Rekrutierungsdienst sie irgendwohin abkommandierte, um damit zu beginnen, die Ruinen des verwüsteten Landes wegzuräumen. Kontroll- und Überprüfungskommissionen lösten einander ab und studierten jeden einzelnen Fall. Diese Kommissionen bestanden häufig aus Vertretern der amerikanischen, kanadischen, englischen, französischen und belgischen alliierten Truppen. Meine zerfetzten Papiere kamen in die Hände eines französischen Offiziers, der mich zunächst zweimal betrachtete. Dann richtete er ein drittes Mal seinen Blick auf mich und fragte mich zuerst auf deutsch: „Das ist wirklich Ihr Geburtsdatum und Ihr Geburtsort?“

„Ja“, antwortete ich auf deutsch.

„Aber dann …“

„Ja“, sagte ich auf französisch, „ich bin väterlicherseits Franzose.“

Ich sprach jedoch französisch inzwischen genauso schlecht, wie ich in Chemnitz deutsch gesprochen hatte.

Der Offizier wurde misstrauisch und betrachtete mich mit Argwohn. Nach einer Weile fuhr er auf französisch fort.

„Dann sind Sie also Franzose?“

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Die Deutschen hatten mir drei Jahre lang eingeredet, dass ich zu ihnen gehörte.

„Ich glaube ja, Herr Major.“

„Wie, Sie glauben ja!“

Verlegenes Schweigen meinerseits.

„Was haben Sie dann in diesem Sauhaufen verloren?“

„Ich weiß es nicht, Herr Major.“

„Nennen Sie mich nicht Herr Major, ich bin nicht Herr Major. Nennen Sie mich mon Capitaine und kommen Sie mit.“

Der Capitaine war aufgestanden, und ich musste ihm auf dem Fuß folgen. In den grau-grünen, schmutzigen Reihen der Besiegten sah mir die lange, abgemagerte Gestalt von Halls hinterher. Ich gab ihm ein kleines, vielsagendes Zeichen und murmelte: „Bleib hier, ich komme wieder.“

„Wer ist der Lange, mit dem Sie da sprechen?“, fragte der Capitaine gereizt.

„Das ist mein Kamerad, Herr Kapitän.“

„Hören Sie auf, deutsch zu sprechen, Sie können doch Französisch. Los, hier rein!“

Ich folgte dem Franzosen durch eine Reihe von Gängen, und plötzlich überkam mich Angst, Halls nicht mehr wiederzufinden. Endlich betrat ich ein Büro, wo vier französische Militärs mit einer jungen Frau lachten und plauderten, die, wenn ich mich recht erinnere, englisch sprach.

Der Capitaine sagte, er bringe hier einen verdächtigen Fall, und ich musste ein langwieriges Verhör über mich ergehen lassen, in dem ich wohl wenig überzeugend geantwortet haben musste. Mir drehte sich der Kopf, und was ich antwortete, klang nicht sehr wahrscheinlich.

Einer von ihnen, ebenfalls ein Offizier, beschuldigte mich des Verrats und hieß mich alles Mögliche. Schließlich ließen sie mich in Ruhe, da ich apathisch und abwesend blieb, und brachten mich in einen kleinen Raum einen Stock tiefer. Hier ließen sie mich einen Tag und eine Nacht sitzen. Ich verbrachte dort traurige Stunden, während denen ich an meine Freunde im Leid und vor allem an Halls dachte, der vergeblich auf mich warten musste. Ich hatte die düstere Vorahnung, dass ich ihn nicht mehr wiedersehen würde, und eine fiebrige Ungeduld hielt mich vom Schlafen ab.

Am nächsten Morgen befreite mich ein gutgelaunter Leutnant. Ich wurde wieder in das Büro vom Vortag gebracht, und man bat mich Platz zu nehmen. Das erschien mir so ungewöhnlich, dass ich glaubte, diese Aufforderung zum ersten Mal in meinem Leben zu hören.

Dann sah der junge Leutnant Papiere durch und richtete das Wort an mich.

„Was mit Ihnen geschehen ist, hat uns gestern einigermaßen überrascht. Mittlerweile wissen wir, dass die Deutschen zwar häufig junge Männer mit deutschstämmigen Vätern in die Armee gezwungen haben. Wäre das bei Ihnen der Fall gewesen, hätten wir Sie eine Weile als Gefangenen hierbehalten müssen. Doch bei Ihnen handelt es sich um Ihre Mutter. Das ist ein anderer Fall, und wir können Sie hier nicht festhalten. Ich freue mich für Sie“, sagte er sehr freundlich. „Sie sind also frei, und so steht es auch in den Papieren, die ich Ihnen gleich aushändige. Sie können nach Hause gehen und in Ihr früheres Leben zurückkehren.“

„Nach Hause“, sagte ich, wie wenn jemand vom Mars zu mir gesprochen hätte. „Ja, nach Hause.“

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Quelle: Guy Sajer, Der vergessene Soldat [eBook]. Originaltitel: Le Soldat oublié © Éditions Robert Laffont, S.A., Paris, 1967. Erstmals vollständig aus dem Französischen von Wolf Müller and Frederike Keller. Herausgegeben und mit einem Geleitwort von Oliver Gasperin. Aachen: Helios Verlag, 2016. Mit freundlicher Genehmigung von Helios Verlag.

Jörg Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg: Historische Deutungskonflikte und westdeutsche Demokratisierung 1945-1955. Berlin und Boston: De Gruyter Oldenbourg, 2014.

Philipp Gassert und Alan E. Steinweis, Hrsg., Coping with the Nazi Past West German Debates on Nazism and Generational Conflict, 1955-1975. New York: Berghahn Books, 2013.

Robert Smelser und Edward Davies, The Myth of the Eastern Front: The Nazi-Soviet War in American Popular Culture. Cambridge und New York: Cambridge University Press, 2008.

Patrick Major, „‚Our Friend Rommel‘: The Wehrmacht as ‚Worthy Enemy‘ in Postwar British Popular Culture“, German History 26, Nr. 4 (2008), S. 520-35.

Christina Morina, Legacies of Stalingrad: Remembering the Eastern Front in Germany since 1945. Cambridge und New York: Cambridge University Press, 2011.

Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall, Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2002.

Maja Zehfuss, Wounds of Memory: The Politics of War in Germany. Cambridge und New York: Cambridge University Press, 2007.

Kameradschaft an der Front (Rückblick, 1967), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-217> [24.10.2024].