Dr. Oskar Cohn, SPD-Vertreter im Reichstag, als Gegenfigur zur imaginierten persona des „Künstler-Soldaten“ oder „Künstler-Politikers“ (1917)
Kurzbeschreibung
Dr. Oskar Cohn war ein deutschjüdischer Reichstagsabgeordneter der SPD während des Ersten Weltkrieges. Er forderte eine stärkere Kontrolle des Militärs durch den Reichstag und wurde auch deshalb zu einer Hassfigur der nationalistischen Rechten. Ein Spottgedicht von 1917 trug die Überschrift: „Der große Feldherr. – Der sozialdemokratische Abgeordnete von Nordhausen, Dr. Cohn, verlangte im Reichstag die Einsetzung eines Ausschusses zur Überwachung der Kriegführung“. Es portraitierte Cohn höhnisch als Negativ-Entwurf eines „deutschen Künstler-Soldaten“ oder „Künstler-Politikers“.
Quelle
„Der große Feldherr. – Der sozialdemokratische Abgeordnete von Nordhausen, Dr. Cohn, verlangte im Reichstag die Einsetzung eines Ausschusses zur Überwachung der Kriegführung“
Wie heißt der Feldherr groß und stark,
Der kluge Man [sic!] von Eisen,
Der, deutsch bis in das tiefste Mark,
Den Feind zerdrückt wie weichen Quark,
Die Zähne ihm zu weisen?
Ist’s Hindenburg? Ist’s Ludendorff?
O nein, das ist doch klar wie Torf!
Er trat erst auf die Bretter.
Doch jedes Kind besingt ihn schon,
O Deutschland, deinen Retter,
Den Marschall Doktor Cohn!
Wie Cäsar, Alexander, Fritz
Und Moltke er verkolkte!
Seht, wie der Cohn mit Geist und Witz
Aus ihrem Kuchen wie der Blitz
Frisch die Rosinen polkte!
Er braust daher wie Wetterschlag,
Der Doktor Cohn aus Guttentag.
Heil uns, daß wir ihn haben!
Ihr Scharnhorst, Clausewitz und Roon,
Ihr seid nur Waisenknaben
Vorm Marschall Doktor Cohn!
Wie herrlich kleidet ihn der Zorn!
Wie seine Worte sausen!
Er ist der Mann vom alten Korn
Und kommt wie dieser aus dem Born
Des Kümmels, aus Nordhausen!
Wie Hindenburg das Grauen faßt,
Weil Cohn ihm auf die Finger paßt!
Putzt Cohn nur seine Brille,
Da zittert Mariann’ und John.
Selbst Roosevelt wird stille
Vorm Marschall Doktor Cohn!
Der Cohn zerreißt uns ritsch und ratsch,
Was sonst uns imponierte,
Er spricht: „Der U-Bootkrieg ist Quatsch,
Von Tannenberg auch das Getratsch
War’s, was uns längst genierte!“
O Deutschland, greif’ den höchsten Lohn,
Geh’ über diesen Rubi-Cohn
Mit deinem „Klassenheere“.
Ja, setz’ ihn auf den Herrscherthron
Dir, Vaterland, zu Ehre,
Den Marschall Doktor!
Quelle: Bund der Landwirte für Pommern, Amtliches Blatt der Provinzialabteilung, 21.V, 25. Mai 1917, o.S; abgedruckt in Elke Kimmel, Hrsg., Methoden antisemitischer Propaganda im Ersten Weltkrieg. Die Presse des Bundes der Landwirte. Berlin: Metropol, 2001, S. 222–23.
Weiterführende Inhalte
Martina Kessel, Gewalt und Gelächter. „Deutschsein“ 1914–1945. Stuttgart: Steiner, 2019.