Die Nationalisierung des Katholizismus 1870/71: „Brief“ eines katholischen Soldaten aus Bayern (1870)
Kurzbeschreibung
Der Krieg gegen Frankreich 1870/71 wurde medial intensiv begleitet. Populärkulturelle Angebote beschrieben didaktisch, wie der gemeinsame Kampf für die neue Nation dazu beitrage, regionale und konfessionelle Differenzen zu überwinden. Der folgende Brief, obwohl möglicherweise fiktiv, beschwor die Nationalisierung des Katholizismus: Ein katholischer bayerischer Soldat lobte den Kampfgeist, die christliche Einstellung und Musik preußischer Soldaten und beschwor demgegenüber die Kluft zu den katholischen Franzosen.
Quelle
Poesie im Felde.
Wir theilen unsern Lesern folgendes hübsche Gedicht mit, welches ein Officier des 93. (Anhaltinischen) Infanterieregiments am 17. August an seine Schwester schickte, mit einer Rose, die er am 16., dem Tage vor der Einnahme Touls, vor dieser Festung gepflückt hatte.
Bei dem Donner der Geschütze,
Als Granaten furchtbar sprangen,
Bei dem Spiel der Kugelspritze,
Als die Chassepotkugeln sangen,
Dort vor Toul am blut’gen Tag,
Eine Rose ich mir brach.
Lorbeern waren nicht zu pflücken,
Ohne Bresch’ in Wall und Schanzen,
Wollte es im Sturm nicht glücken,
Siegesbanner aufzupflanzen.
Drum vor Toul am blut’gen Tag
Eine Rose nur ich brach.
Streiten will zu jeder Stunde
Ich zu Deutschlands Ehr und Ruhme,
Scheuen nicht die Todeswunde!
Deß zum Zeichen nimm die Blume.
Wo es sei am blut’gen Tag,
Komme, was da kommen mag.
Wir entnehmen dem an seine Eltern nach München gerichteten Briefe eines baierischen Soldaten (Landsberger Jäger-Bataillon) folgende characteristische Stelle: „Lutherisch san wir nit worden in dem Krieg, aber Preußisch. Dös könnts dem Herrn Pfarrer sag’n, weil er bei unserm Ausmarsch gar so a Angst g’habt hat um unser Seelenheil. Die Preußen san gar brave Kameraden und halten mit uns dingest zusammen, wo’s auf die Franzosen losgeht. Das san a falsch Volk, ob’s wol katholisch sein woll’n, wie die Bayern: d’Preußen machen koa Kreuz, san aber doch christlich. Der Herr Pfarrer hät’s nur seh’n soll’n dort bei Sedan, wie preußische Jäger neben uns nach der Schlacht a geistliches Lied g’sungen hab’n und die Musik hat dazu g’spielt. Wir hob’n alle g’juchzt aus Freud’, aber glei aufg’hört, wie die Preußen z’singen ang’fangen hob’n, g’schämt hob’n wir uns a a weni, denn uns ist koa Lied eing’falle, dös so rühri war wie das von den Preußen!”
Quelle: Humor im Felde. Heiteres aus dem Deutsch-Französischen Kriege von 1870. Zweites Heft. Leipzig: Johann Friedrich Hartknoch, 1870, S. 54. Online verfügbar unter: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV020728962/ft/bsb10618420?page=3
Weiterführende Inhalte
Gerd Krumeich und Hartmut Lehmann, Hrsg., „Gott mit uns“, Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2000.
Helmut Walser Smith, Protestants, Catholics, and Jews in Germany, 1800–1914. Oxford und New York: Berg, 2001.