Die Bedeutung des Ortes für Körper, Krankheiten und Medizin: Paracelsus, „Die Vierdte Defension“ (ca. 1538)
Kurzbeschreibung
Der Schweizer Arzt Paracelsus (oder Theophrastus von Hohenheim, 1493–1541) förderte Ideen der lokalen Eigenart in den Körpersäften des menschlichen Körperaufbaus und verlagerte gleichzeitig radikal das Verständnis von Krankheiten weg von der traditionellen Humoraltheorie. Ende des sechzehnten Jahrhunderts fanden seine neuen Ideen in der medizinischen Welt zunehmend Anklang, weshalb seine Beachtung der geographischen Bedingungen für die Entwicklung des Körpers von Bedeutung ist. Er war auch einer der ersten Ärzte, der seine medizinischen Abhandlungen direkt auf Deutsch verfasste und veröffentlichte, anstatt wie üblich im Latein des gelehrten Diskurses.
Quelle
Die Vierdte Defension
Von wegen meines Landtfarens
[…]
Ein Arzt sol am ersten ein Astronomus sein: Nuhn erfordert die notturfft/ das ihme die Augen müssen zeugnuß geben/ das er der sey: Ohn diese zeugnuß/ ist er nur ein Astronomischer schwetzer. Es forderet auch/ das er sey ein Cosmographus: Nicht die Länder zu beschreiben wie sie Hosen tragen/ sondern tapferer anzugreiffen/ was sie für kranckheit haben. Ob gleichwol dein fürnemmen ist/ du wöllest dieses Landes kleidung wol können machen/ auß dem/ das du in dem Lande gelehrnet hast/ und dich also frembder Länder zuerfaren endtschuldigest: Was gehet den Arzt an/ das du ein Schneider bist? Darumb dieweil die ding die jetzo gemeldt seindt / erfaren müssen werden/ so seindt sie auch mit uns Parabolanis/ unnd angehengt der Arzney/ nicht zuscheiden von ihr. Also ist auch von nötten/ das der Arzt sey ein Philosophus/ und dz ihme die Augen kundtschafft geben/ dz er es sey: Wil er ein solcher sein/ so muß er zusam̄en klauben/ von den Enden da es ist. Dann wil einer nur ein Praten essen/ so kompt dz Fleisch auß einem andern landt/ das Saltz auß einem andern landt/ die Speiß auß einem andern landt. Müssen die ding wandern biß sie zu dir kommen/ so mustu auch wandern/ biß du das erlangest/ das zu dir nit gehen kan. Dann Künst haben nit Füeß/ das sie dir die Metziger nachtreiben könen: Sie sindt auch nit in Küeffen zufüren/ noch in kein Faß zuuerschlagen. Dieweil sie nuhn den gebrechen haben/ so mustu dasselbig thun/ das sie thun solten. Die Engelendische Humores sind nicht Ungerisch/ noch die Neapolitanischen Prewsisch: Darumb mustu dahin ziehen/ da sie sindt: Und je mehr du sie dahin suchst/ und je mehr ihr erfarst/ je grösser dein verstandt in deinem Vatterlandt. Also ist auch not/ der Arzt sey ein Alchimist: Wil er nuhn derselbig sein/ er muß die Mutter sehen/ auß der die Mineralia wachsen. Nuhn gehen ihm die Berg nicht nach/ sondern er muß ihnen nach gehen. Wo nuhn die Mineralia ligen/ da seindt die Künstler: Wil einer Künstler suchen/ in scheidung un̄ bereitung der Natur/ so muß er sie suchen an dem orth/ da die Mineralia sind. Wie kan dann einer hinder die bereitung kommen der Natur/ wenn er sie nicht sucht wo sie ist? Sol mir dann das verarget werden/ das ich meine Mineralia durchlauffen hab/ und ihr Gemüt und Hertz erfaren/ ihre kunst in meine Händt gefast/ die mich lehren/ das Rein vom Koth scheiden/ dardurch ich viel ubels fürkommen. Es ist aber nit minder/ ich muß den Philosophischen spruch auch sagen/ das Weißheit allein von den unwissendē verachtet wirt: Also auch die kunst von denen/ die sie nicht künden.
[…]
Quelle: Paracelsus, „Die Vierdte Defension“ aus „Die Verantwortung über etliche Unglimpfungen seiner Mißgönner“, in Paracelsus, Ander Theil || Der Bücher vnd Schrifften/ des || Edlen/ Hochgelehrten || vnd Bewehrten PHILOSOPHI || vnd MEDICI || PHILIPPI THEO-||PHRASTI Bombast von […]. Basel: Waldkirch, 1589, S. 136–37. Online verfügbar unter: https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd16/content/titleinfo/993607; abgedruckt in Bücher und Schriften von Theophrastus Paracelsus. Band I, zweiter Teil, herausgegeben von Johannes Huser. Hildesheim: Georg Olms Verlag, 1971, S. 175–76. Widergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung des Olms Verlags (www.olms.de).
Weiterführende Inhalte
Erik A. Heinrichs, Plague, Print, and the Reformation: the German Reform of Healing, 1473–1573. London: Taylor & Francis, 2017
Michael Stolberg, Experiencing Illness and the Sick Body in Early Modern Europe. Basingstoke, Hampshire und New York: Palgrave Macmillan, 2011.