Von Plagen und fremden Einflüssen: Johann Vochs, De pestilentia (1507)
Kurzbeschreibung
In seinem Pesttraktat aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert war Johann Vochs einer der ersten Mediziner, der sich in seinen medizinischen Behandlungen für den Lokalismus einsetzte. Er vertrat die Ansicht, dass deutsche Körper mit deutschen Medikamenten behandelt und vor fremden Substanzen und Ideen geschützt werden sollten. (Italienische Einflüsse hielt er für besonders schädlich). Ähnlich wie die zeitgenössische Geschichts- und Sprachwissenschaft trug Vochs‘ medizinische Abhandlung dazu bei, eine Vorstellung von deutscher Identität zu etablieren, indem er „Deutschland“ von Italien/Rom abgrenzte.
Quelle
Kapitel dreizehn: Mehr über schützende Arzneimittel insbesondere, und über einige notwendige Regeln.
Erste Regel: Die Körper der Deutschen leben gut in der höchsten Luftfeuchtigkeit und erhalten sich in feuchter Umgebung. Jedes Ding erhält sich am besten nämlich an dem Ort, der ihm natürlich ist und wird ernährt von Lebensmitteln, die die gleiche Zusammensetzung haben, wie diejenigen, welche es von Natur aus auch genährt haben. Und unsere Region ist kalt und nass, weshalb sie für die Produktion von Schleim und Blut günstig ist. Folglich ist das der Grund warum wir – im Unterschied zu den Italienern, Galliern und anderen Völkern – nicht von der Cholera belästigt werden. Und auch die Melancholie verbreitet sich nicht in unseren Körpern, es sei denn jemand wird Italianisiert und möchte wie die Italiener leben oder sich von üppigen und schlechten Lebensmitteln ernähren und sich in Fasten und Schlaflosigkeit quälen, so wie die Geistlichen es tun, in welchen nämlich die Melancholie sich vermehrt verbreitet. Unter den normalen Leuten hingegen wirst du wenige Melancholiker in Deutschland im Vergleich zu Italien finden.
Diejenige Ärzte täuschen sich daher gewaltig, die wie die Schafe den Italienern folgen, und zwar nicht nur in den Arzneimitteln, die etwas im Körper verändern, sondern auch in den abführenden Arzneimitteln, mit denen sie einen Saft ablassen, der nicht abgelassen werden soll und so den Kranken ins Verderben und den Tod führen.
Kein Satz nämlich wird aus dem Werk des sehr guten Hippokrates wiederholt wie jener: „Wenn irgendwelche Säfte abzuführen sind, sollen sie abgeführt werden, und dies wird gut toleriert, wenn sie im Gegensatz dazu aber nicht abgeführt werden sollten, ist dies schlecht und wird ungünstig toleriert“. Lese und blättere alle Bücher von Hippokrates zweimal. Kaum etwas wird von ihm wiederholt, aber folgender Aphorismus fünfmal, damit er dem Arzt nicht aus dem Gedächtnis entfällt.
Und vergiss nicht, dass alle Ärzte, die so Medizin praktizieren, niemals jemand in ihrer Behandlung heilen, es sei denn irgendwann zufällig. Daher sagte Hippokrates zu Recht: „Etwas ist nach der Region, nach der Saison und nach dem Alter zu verschreiben“.
Aber wir wollten über die Arzneimittel sprechen, die etwas im Körper verändern und die ihn bewahren, und wir sind davon weggekommen. Da unsere Körper mehr an der Luftfeuchtigkeit Teil haben, soll der behandelnde Arzt nicht viel aus weißem Ton oder Heilerde applizieren, vor allem während dieser Pest und im Winter oder bei einer kalten Konstitution, da der Arzt sich gewaltig irrt, wenn er dies tun sollte.
Und der Grund dafür ist dies: nachdem die trockenen und kalten Substanzen in den Körpern, die auf natürliche Weise feucht sind, vermehrt worden sind, werden sie zuerst die Feuchtigkeit einschließen und vergrößern und Verstopfung erzeugen. Ein starker Verschluss verursacht Fäulnis, die Fäulnis wiederum verursacht Krankheit, da sie ihre vorangehende Ursache ist.
Aber der Sophist beharrt drauf, dass, da die Körper der Deutschen feucht sind, sie folglich ausgetrocknet werden sollen. Gegensätzliches ist mit dem Gegensatz zu heilen. Demnach sind also unter den Arzneimitteln der weiße Ton und die Heilerde mehr geeignet. Das Argument gilt nicht. Du kennst, Sophist, den oft gebrauchten Aphorismus des Damascenus.
Es ist nötig, dass die Medizin in Angleichung an die wirkende Natur hergestellt wird und nicht nach etwas, das ohne Grund als hilfreich gilt. Ein trockenes Körperglied soll nämlich von einer trockeneren Medizin gestärkt werden, ein feuchtes Körperglied hingegen im Gegenteil, sowie Galen in „De ingenio sanitatis“ an vielen Stellen sagt. Und du weißt wiederum, dass die Körperfassung eines Volkes gemäß der Beschaffenheit des Klimas und der Luft zu Stande kam. Der Körper eines Inders, der gemäß der Beschaffenheit eines Slawen behandelt wird, wird entweder krank werden oder er wird sterben und umgekehrt. (Avicenna, erste Fen des ersten Buches.)
Und du weißt, dass diejenigen, die die nördlichen Regionen bewohnen, feuchter sind ebenso wie diejenigen, die in den Gewässern arbeiten (siehe oben).
Aber sag mir, was es hilft oder was es bringt, drei Teile weißen Tons mit einem Pfund Phlegma zu mischen. Trocknet es mit dem Verlauf der Zeit nicht etwa an?
Aber weshalb sollte man daher ein Pfund des Feuchten anwenden? Du sagst, dass es vor der Fäulnis bewahrt, weil kalt und trocken nicht verfaulen. Du täuschst dich, Sophist und du bist wie ein Kind, das von der Geburt an nicht weiß, dass die Breite der Welt sich über das Haus hinaus oder über den Punkt, den es mit den Augen sehen kann, sich erstreckt.
Du wirst nie die Fäulnis aus den Körpern der Deutschen mit dieser Technik entfernen, im Gegenteil erzeugst du mit dieser deiner Fantasie die Fäulnis, infolge der Gründe, die oben angeführt wurden, weil du den Saft einsperrst. Im Verlauf der Zeit wird der Saft schlecht und dringt in ein Teilchen eines schwächeren Körpers hinein und so wird er zur Ursache der Entstehung von Gelenkentzündung oder von einem anderen bösen Geschwür.
[…]
Quelle: Johann Vochs, De pestilentia Anni p[raese]ntis et ei[us] cura : ad illustrissimu[m] Principem et d[omi]n[u]m, d[omi]n[u]m Fredericum Sacri Imperij Electorem, Ducem Saxoniae &c. Cum quibusdam dubijs et digressionibus sine quibus cura non perficitur / eximij viri Joha[n]nis Vochs de Colonia, Artium et medicine Doctoris acuratissimi feliciter incipit. Magdeburg: Winter, 1507, o. S. Online verfügbar unter: https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb11219689
Weiterführende Inhalte
Erik A. Heinrichs, Plague, Print, and the Reformation: the German Reform of Healing, 1473–1573. London: Taylor & Francis, 2017.
Michael Stolberg, Experiencing Illness and the Sick Body in Early Modern Europe. Basingstoke, Hampshire und New York: Palgrave Macmillan, 2011.