Der berühmte Wald von einst: Beatus Rhenanus, Libri tres institutionum rerum Germanicarum (1531)
Kurzbeschreibung
Im frühen 16. Jahrhundert verfasste der Humanist Beatus Rhenanus (1485–1547) sein mehrbändiges Werk über deutsche Institutionen und Sitten. Der hier vorgestellte Abschnitt behandelt den berühmten Hercynischen Wald (die antike Sammelbezeichnung für die Mittelgebirge nördlich der Donau und östlich des Rheins), der mindestens seit der Antike bekannt war und in Caesars Commentarii de bello Gallico und anderen klassischen Texten Erwähnung fand. In diesem Auszug wird die Bedeutung der Wälder für die Abgrenzung „Germaniens“ und der Völker, die das Land bewohnen, besonders deutlich.
Quelle
Der Ort des Hercynischen Waldes bei Caesar – [von mir] erläutert und korrigiert –, wo üblicherweise gelesen wird, dass dieser Wald an den Grenzen der Nemeter und Tauraker beginnt.
So redet Caesar im sechsten Buch seiner Commentarien über den Hercynischen Wald: „Er beginnt“, sagt er, „an den Grenzen der Helvetier und Nemeter und Tauraker und erstreckt sich direkt in der Donauregion bis zu den Grenzen der Daker und Anarter.“ Aber, was machen hier die Nemeter, die heutzutage jeder – und zwar zu Recht – als die Bewohner der Diözese Speyer versteht? […] Glaube mir, Leser, diese Stelle bei Caesar ist nicht fehlerfrei.
[…]
Es scheint aber, dass der Hercynische Wald zur Zeit des Iulius Caesar sich bis zum See der Veneter [Bodensee] erstreckte, sicher bevor zwischen Alemannien und dem oberen Rätien der Grenzwall (Limes) gebaut wurde, in der Gegend, wo wir heute die Burgen Hohentwiel und Hohenkrähen finden, die ohne Zweifel Bauten der Römer sind, in Richtung Juliomagus [Schleitheim], das man, wie ich vermute, fälschlicherweise Pfullendorf nennt, und in Richtung Brigobanna [Hüfingen], wenn man zur Quelle der Donau abbiegt. Die Römer sorgten nämlich dafür, dass die Orte bewirtschaftet wurden, nachdem die Wälder zum Teil gefällt wurden.
Ein paar kleiner Notizen oder ein kleiner Kommentar
Die ganze Stelle bei Caesar, nämlich im sechsten Buch, Kapitel 24, lautet folgendermaßen: „Der Wald Hercynia“, sagt er, „erstreckt sich der Breite nach für einen Soldaten ohne Gepäck neun Tagesreisen weit; eine andere Bestimmung ist nicht möglich, da man dort eigentliche Wegmessungen nicht kennt. Er beginnt im Gebiet der Helvetier, Nemeter und Rauraker und erstreckt sich direkt in der Region der Donau bis zu den Grenzen der Daker und Anarter. Hier biegt er nach links durch von dem Fluss abgelegene Gebiete ab und berührt wegen seiner Größe die Grenzen von vielen Völkern. Niemand von dieser Gegenden Germaniens kann sagen, dass er etwas darüber hörte oder zum Anfangspunkt des Waldes kam, selbst wenn er 60 Tage auf der Reise war, oder dass er erfahren habe, von welchem Ort der Wald beginne.“
Aus diesen Wörtern wird klar, wie breit damals dieser Wald Germaniens sich erstreckte, da er sehr groß und unermesslich war und von allen besten Autoren gepriesen wurde. Aber wo befindet er sich? Verschwand er etwa begraben in seinem Schutt? Sicherlich ist er heute kleiner und umrandet besonders Böhmen. Von diesem Wald wurden die umliegenden Berge Hercynische Berge genannt, die auch Sudeten genannt werden. Baudr. beginnt bei den Grenzen Galliens ab den Ardennen und verbreitet sich durch ganz Germanien und streut aus sich viele Arme und Landzungen, die verschiedene Bezeichnungen bekamen und heute aufgrund der Unterschiedlichkeit der Regionen und der Orte unterschiedliche Namen erhalten. Daher bezeichnen wir mit seinem Namen ohne Streitigkeit den Eremum Helvetiorum, den Wald Gabreta [Böhmerwald], die Sudeten, den Wald Seman [Thüringerwald], die Berge Abnobum [Donau] und Melibocum [Odenwald]. Er teilt nämlich das ganze Deutschland bis zu den Bergen Riphaeos und dem Sumpf Moeotidis, nicht weniger wie der Taurus Asien teilt, der Atlas Mauretanien, die Apenninen Italien.
Wie Willich d. Comm. S. 561 und folgende sagt: Die Germanen erhalten freilich, wie man sagt, nicht nur einen Namen: und so eben wegen der Dunkelheit der Tannen sagt man im Breisgau bei Freiburg „Schwarzwald“, das heißt schwarzer Wald; bei Heidelberg „Odenwald“, das heißt Othonia, des Kaisers Otto, der pflegte, hier häufiger zu jagen, in deutscher Sprache „Otthenwald“; zwischen „Herbipolis“ [Würzburg] und Bamberg „Steygerwald“, das heißt königlicher, steiler und gebirgiger Wald; bei dem Zusammenfluss von Loire und Main „Westerwald“, das heißt westlicher Wald; bei Mainz, Frankfurt und „Asciburgium“ [Asberg] „Speshart“, das heißt Wald des Teers wegen der Fülle an Teer, und in der Tat nennen die Deutschen „pix“ „Pech“. In Thüringen, neben den Grenzen von Franken und Vogtland „Thüringer Wald“; in der Grafschaft von Mansfeld, in den Schluchten Sachsens „auf der Harz“; in Böhmen „Böhmerwald“. Ferrar. Confer. ebenfalls Willich. S. 447 und folgende, ebenso S. 561 und folgende, Pirckheim d. tr. S. 703. Diese also wie der Taurus sich durch Asien erstreckt und der Atlas durch Afrika, genauso erstreckt sich jener Wald, der auch heute sich eines solchen Namens erfreut, durch ganzes Europa und hat seinen Ursprung an den Grenzen Galliens von den Ardennen: von da an breitet er sich – mit Kräften so alt wie die Welt – durch Deutschland und Sarmatien bis in die letzte Ecke Europas und sogar in die Höhen des Himmels bei den ewigen Gebirgen aus. Indem er sich zur Quelle der Donau und der Neckar weit und breit erstreckt, bildet er den Schwarzwald (der auch von den Großen „Bacenis“ genannt wurde). Und so wie damals jener Wald von hundert Dörfern, wurde er heute wohl von hundert nicht zu unterschätzenden Städten Schwabens befüllt, bis er die Stadt Eichstätt (von einem Eichengebiet des Waldes genannt) und die Ufer des Flusses „Almonus“ [Altmühl, ein Nebenfluss der Donau] berührt, welchem er ziemlich lang folgt, bis er bei den Schluchten der Donau, von diesen durch die Sande von Nürnberg und über Nürnberg an der Donau mit dem großen Hercynischen Gebirge (dieser Teil von Deutschland ist höher) und dem ewigen Hercynischen Kamm sich verbindet. Von diesem, das heißt, von dem tannenreichen Berg, lässt jener vier berühmte und reiche Flüsse, innerhalb eines Raumes von etwa zweitausend Schritten, nicht ohne Bewunderung und eine Erhabenheit der Natur, herausströmen.
Ebenso von diesem Berg, der Flüsse und Wälder hervorbringt, streckt der Hercynische Wald vier Arme, wie riesige Landzungen, in die unterschiedlichen Teile der Welt aus, die einzeln Conr.[ad] Celtes Addition., an der Stelle über den Hercynischen Wald zusammenfasst und am Ende erinnert: „Folglich, durch diese Austreckung des Waldes ist sicherlich seine Länge innerhalb der europäischen Grenzen, nämlich von der Mosel – ein Fluss Galliens – bis zu der Quelle der Tanais, als festgelegt zu fassen; in seiner Breite, die sich von den Alpen in das germanische Meer ausdehnt (einen Meilenstein soll man aus der Berechnung der Himmelkreise und Graden ableiten, wenn jemand darüber neugierig ist und fragen möchte), und in diesem Gebiet, und zwar im Norden, schließt der Wald in seinen Gebirgen drei sehr edle Völker, nämlich die Schwaben, die Franken und die „Bemi“. Auf der anderen Seite hat Deutschland sicherlich Wälder, die sich nach den Bräuchen und Sprache und Religion unterscheiden, aber dies geschieht auf eine Art und Weise, die zugleich nötig und nützlich ist, und das Feuer, die Werkstätte und das Handeln begrenzen die Wälder. […]
Quelle des lateinischen Originaltextes: Beatus Rhenanus, „Expositus & emendatus apd Caesarem locus de ortu sylvae Hercyniae, ubi vulgo legitur, oriri id nemus a Nemetum & Tauracorum finibus“, in Libri tres institutionum rerum Germanicarum nov-antiquarum, historico-geographicarum. Ulmae: Georg Wilhelm Kühn, 1693, S. 409–12. Online verfügbar unter: https://onb.digital/result/10B73986