Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, „Wo das beste Teutsch zu finden“ (1673)
Kurzbeschreibung
Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1621/22–1676) war ein bekannter deutscher Schriftsteller und Sprachkritiker aus der Frühen Neuzeit. In seinem Werk Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel, das 1673 veröffentlicht wurde, geht er darauf ein, in welcher Region das schönste und sauberste Deutsch gesprochen wird. Dabei wiegt der Autor verschiedene Mundarten und Aussprachen gegeneinander ab, geht neben lokalen auch auf ständische Unterschiede ein und betrachtet neben den Dialekten auch die Aussprachen und den Soziolekt von bspw. Gelehrten, Kaufmännern, Soldaten und Bauern. Fremdwörter, insbesondere aus dem Französischen, werden ebenso abgelehnt wie französische Kleidung und Moden. Als Ergebnis wird festgehalten, dass derjenige der beste Deutsche sei, der sich unabhängig von der Sprache in „alten deutschen“ Tugenden übe.
Quelle
Caput XI.
Wo das beste Teutsch zu finden.
Ich habe etwan einen groben Esel einen andern seines gleichen auff die Kürbe laden hören oder eine schandliche Arbeit (welche gleichwol kein Herrn Gebott ist) mit unflätigen Worten thun heissen daran er henckte / diß ist gut Teutsch; Ich kan aber solche garstige Zotten nicht loben / wann sie gleich noch so fein teutsch / so vil die Aussprach anlanget klingen vnd heraus fliessen als wann einem der Halß mit Speck geschmiert wäre; begehre auch hier nichts darvon zu melden / sondern nur zu sagen / wo vnd durch welche das beste und zierlichste Teutsch geredet werde.
Den Ruhm dieser Ehr hat von langen Zeiten her zwar die Statt Mayntz gehabt / welches ich ihr als meiner lieben Landsmännin von Hertzen gern gönnen möchte; aber ich sorge daß solcher jetziger Zeit nicht ihr: sondern vor ihr und allen anderen Stätten vnd Provintzen in gantz Teutschland der Statt Speyr und ihrem nächsten Bezirck gebühre / dann da wird man einen guten Strich biß überhalb Durlach und Baden hinauff auch bey manchen Bauern / besser Teutsch finden als in vilen vornehmen Stätten; welches meines Davorhaltens das Käyserl. alldorten befindliche Cammer-Gericht / die Fürstl: Bad: Durlach: und Baden Bad: wie auch die Bischoffl: Speyerisch: Hoffhaltungen in der Nachbarschafft: und dann so vil Gelehrte geistlich und weltliche / die sich immer in selbiger Statt auffhalten / verursachen; dann diß ist gewiß / wer mehr lißt und schreibt als er mit Leuthen die nicht recht Teutsch reden / mündlich conversirt / der lernet unvermerckt eins und anders also aussprechen / wie ers zu lesen und zu schreiben pflegt; wann dann zween oder mehr zierlich redende literati von andern gehöret werden / die gleichwol ungelehrt oder wol gar nur Weiber oder Kinder seyn / so öhmen sie jenen alsobalden entweder ohngefehr oder auch wol mit Fleiß ihre Sprach nach; dahero es dann kompt / daß Speyr und seine Benachbarte wegen der vilen Gelehrten beständigen Beywohnung je länger je besser teutsch machen.
Auff der kleinen Seyten zu Prag wird so gut Teutsch geredet / als irgendswo in gantz Teutschland; das macht / daß die Teutschredende keine baurische Nachbarn auff den umbligenden Dörffern haben / die ihnen ihre Sprach verderben; dahingegen die Franckfurter von den Wetterauern: die Straßburger von den Kocherspergern: die Tübinger von den Schwaben: die Regenspurger von den Bayern: die Marpurger von den Hessen: die Leiptziger von den Meissnern: und also auch andere von ihren grobteutschredenden Nachbarn vil Unzierden an sich nehmen müssen; ob gleich ihrer vil zimblich gelehrte Leuth: ja gar Academien voller jungen Studenten haben / die sich alle eines zierlichen Teutschen befleissen. Sintemal das Volck mehr mit denen Bauern als mit den Gelehrten zu handlen hat. Unter allen teutschen namhafften Stätten aber bedunckt mich keine läppischer Teutsch reden als das sonst Majestätische Cölln / deren Sprach sonst niemand besser anstehet als dem Weibervolck; doch nur denen die sonst auch schön seyn.
An den Schweitzern scheinet als ob sie ihre Wörter wie die welsche Hanen hinten im Rachen oder oben im Gaumen formirten; die Schwaben möcht einen beduncken / brauchen die Naase auch zu ihrer Aussprach; die Francken nehmen das Maul gar zu voll wann sie reden; die Bayern vnd Oestreicher ziehen etliche Wörter länger als der Schuster das Leder / und etliche stutzen sie so kurtz ab wie die Frantzosen die Schwäntz an ihren Pferden; die Niderländer und was gut alt Sächsisch Teutsch oder Westphalisch redet / verfertigen ihre Wörter gleichsamb vornen im Mund zwischen den Lefftzen vnd vordern Zähnen; die Meissner und ihre Nachbarn brauchen zuviel überflüssige Wörter und Buchstaben; und wann man aus jeder Art diser Sprachen einen nehme und sie zusammen sperrete / so würden sie mit der Zeit entweder ein recht mittelmässig Teutsch zusammen bringen / oder allesammen dem jenigen nachöhmen / der eintweder die eichteste Aussprach hat / oder dem / der am allermehristen papplet.
Von eintzelen Personen aber reden am besten teutsch / erstlich wie gemeldt / die Gelehrte / so vil lesen und schreiben; Zweytens die Kauffleuthe und andere / die vil raisen / warunter auch die Soldaten zu rechnen; das allerbeste aber / beydes in Reden und Schreiben wird hin und wider in den Fürstlichen Cantzleyen gefunden / allwo man einen weit andern und ansehenlichern Stylum findet / als bey etlichen Sprachhelden / die zwar darvor gehalten werden wollen / ob wissten sie allein die Teutsche Sprach zu reformirn / und sie von aller Unsauberkeit / gleichwie der Drescher den Waitzen zu läutern / da sie doch ihre aigne Sitten nit corrigirn; diese vermeine ich / welche das Teutsch von allen frembden Wörtern gerainiget und geläutert wissen wollen; ihre Leiber und Gemüther aber nichts desto weniger mit Frantzösischen Kleydungen / Barüquen und kleinen wintzigen Knöbelbärtgern (wann sie nichts mehrers vermögen) gleich den natürlichen Frantzosen verstellen / zieren und tragen; ja wanns nur seyn könte / wol was anders mehr auff Frantzösisch thun: und dardurch / soviel an ihnen ist / das allergottsbeste Teutsch (welches da ist ohne alle Gefährden / Falschheit / Untreu / und Argelist / fein redlich / auffrichtig / treu- und offenhertzig / unerschrocken / ernst- Mann- und standhafft / gerecht / etc. und was vor dergleichen Teutscher Aigenschafften mehr sich finden / seyn und leben) verderben helffen möchten und dörfften; Jener Weise sagt recht und wol / gegenwertiger Zeit Wörter soll man sich gebrauchen / und der Alten Sitten nachfolgen.
Ist diesem nach der jenige der allerbeste Teutsche / welcher der alten Teutschen Tugenden übet und liebet / wann er gleich nit besser oder zierlicher redet als ein kropffiger Pingauer / und bey einem solchen ist auch das beste Teutsch zu finden.
Quelle: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Deß Weltberuffenen SIMPLICISSIMI Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel. Nürnberg, 1673, S. 98–101. Online verfügbar unter: http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/grimmelshausen_michel_1673?p=106