Geschlechtergrenzen in der Reiseerfahrung: Andreas Pinxner, Die hitzige Indianerin (1701)

Kurzbeschreibung

Nach seinem Studium in Wittenberg reiste Andreas Pinxner nach Batavia, der Hauptsiedlung der Dutch East India Company, von der er fünf Jahre später zurückkehrte. Nach seinen Reisen schrieb er unter anderem diese literarische Reiseberichterstattung. In diesem Auszug stellt Pinxner das Überschreiten der europäischen Grenzen als etwas dar, wofür Frauen grundsätzlich nicht geeignet seien. Diejenigen, die es dennoch taten, zogen daher das Misstrauen ihrer Zeitgenossen auf sich. Die Kategorie Geschlecht erweist sich als Schlüssel dafür, wie und wo eine „nationale“ Identität überhaupt mobilisiert werden könnte.

Quelle

Es ließ sich ansehen/als wolte das Glck noch in Hollndischen Gebieth mir die hlff-reiche Hand leisten/ und einige Ebenbilder der Weiber von Ost-Indien vorstellen/ damit ich mich in diesen besehen / ihre Manier erfahren/ und ferner in Indien desto klger mit ihnen umgehen mchte.

Ich hatte gehret wie huffig die Weiber Hollndisches Geblts in Indien hin und wieder zu finden wren. Hilff Gott! (Dachte ich bey mir selber) wie kmmts doch, daß sich solch schwach Werckzeug / den die Natur das Ausreisen verboten/ einer solchen schreckenhaften Reise unterfngt? Es ist ein grosses/ wenn ein khner und eiserner Mann durch Noht/ Verzweiffelung oder Reise-Lust angetrieben/ sich den Ost-Wellen unterwirfft: Frwahr / es muß eine grosse Treu in Holland bey den Weibern seyn/ dieweil sie sich nicht scheuen/ um die ehliche Pflicht zu vollfhren/ alles Elend einzugehen. Mich dünckt als wenn es nunmehro keine Treu zu nennen/ die vor diesen den Rmischen und Griechischen Jungfrauen solch groß Lob gegeben/ dieweil man in Holland dergleichen Exempel huffiger und merckwrdiger findet. Vor haben die Weibern ihren Mnnern zu Liebe / als die Christen wider Mamelucken in Krieg begriffen waren / schwere Reisen nach dem Saracenen Land angestellet/ so lang verkleidet herum gezogen/ biß sie ihre Ehe-Mnner gefunden / und was mehr ist/ errettet haben/ welche das Unglck in der Barbaren Hnde geleget hat; Nun aber reisen sie ihren Mnnern zu Gefallen an den ußersten Ort der Welt / und zwar zur See/ wo alle Tage ein neuer Unglcks-Stern hervorgehet. Ach! Wie glckseelig seyd ihr Mnner der sieben Provincien! Es sol die Nachwelt eurer Weiber niemals vergessen / sie sollen alle Exempel der alten Helden-Weiber auslschen / und sich selbst berhmt hinstellen.

Mein Herz war so voll mit dieser Gemths-Regung/daß es auch der Zungen mitgetheilet muste werden. Derowegen rieff ich laut / und erhub diese Weiber-Treu biß an den Sternen-Himmel.

Viel meiner Mit-Consorten auf dem Schiff hatten die Ursach meiner Unruhe erforschen wollen/ indem ihnen mein bleiches Angesicht und das auf den Schiffs-Boden hin- und wieder lauffen / mehr als zu viel meine Traurigkeit an Tag gab: Nun aber kam sie ihnen unverhofft zu Gehr. Sie verstunden klrlich/ aus was fr einer Quelle meine Betrbniß herfliesse. Einer unter ihnen/ den ich Probando nenne/ nahete sich mit seinen gewhnlichen ernsten Geberden zu mir/ gab mir einen Winck/und zeigte mit dem Finger/wohin ich ihn folgen mchte. Gern gehorchte ich seinen Befehl/weil ich wuste/daß er nach seiner Gewohnheit den Schleim des liederlichen Wahns von meinen Augen wieder abwischen solte. Wir setzten uns zu obrist an das Vordertheil des Schiffes in Stille nieder/allwo er auf folgende Manier mich ansprach: Wie ists mein Dacier? Ziehest du in der Welt herum / und kanst noch nicht erlernen / daß die gantze Welt Comoedien spiele? und daß ihr gantzes Wesen Scheinheiligkeit sey? Warum redest Du nach Art gemeinen Pbels? Kanst du nicht einen Unterscheid machen zwischen einer natrlichen Farbe und einer die durch Kunst gemacht ist? Gehe doch in dich selber/ und betrachte durch das Microscopium dieses Kleine / es sol so groß scheinen / daß du darinnen allen Ab- und Zulauff sehen und begreiffen wirst. Siehe/ du denckst/ es wre dieses Frauen-Zimmer/ welches sich unterstanden die Gefahren auf der Reise mit uns zu theilen / so / als wie du dir es eingebildet hast/ nemlich: Die Lieb und Treu/ ihrer Ehegatten auch im Creutz nachzufolgen/habe sie aufgemuntert zu dieser beschwerlichen Reise. Ach nein! Es ist viel anders. Ziehe nur ein wenig die dunckle Decke von deinen Augen / und laß die Weißheit-Sonn sie beleuchten/ so wirst du dieses alles in einer andern Farbe und Gestalt abgemahlet sehen. Man muß die Menschen nicht von aussen lernen kennen / weil offtmals ein Narr den Doctors Rock zu tragen pfleget/ und eine Hure sich in ehrliche Frauen-Kleider verstellen kan.

Von diesen des Probando Reden begunt ich mich ein wenig aufzurichten/ und sprach: Diese deine Reden sind vortrefflich/ ich wolte gern aus den Augen sehen/ und sie ergreiffen; Aber es gehet mir wie denen die im tieffen Schlaff liegen und sich gern ermuntern wollen / und knnen doch nicht. Denn mein Vater, (ich mag dich billig also nennen) ich habe das Eiter des liederlichen Wahns so tieff eingesogen/ das es anders nicht/ als mit guter Unterrichtung auszuziehen ist. Sey du mein Begleiter / und erffne mir die Augen des Verstandes/ damit ich in diese Verborgenheit sehen mag. Lse auf die Bande der Bekmmerniß/ auf daß ich ungehindert zu dem hohen Pallast der Weißheit lauffen mge.

Darauf Probando mit freudigem Gesicht antwortete: Wohlan/Dacier weil du ja was lernen wilt / so folge mir dieses Schiff sol ein Schau-Platz werden/worauf du erkennen lernen kanst den Unterscheid der Huren und ehrlichen Frauen.

Hierauf faste mich Probando bey der Hand und fhrte mich eine Treppe herunter/ wo sich gleich zur lincken Hand des Schiffs die Boddelerey / oder Schenck-Häußgen aufgehet. Hier sahen wir ein wohlgestaltes Frauen-Bild sitzen / das sich mit den Wassermacher[1] in eine ernsthaffte Unterredung eingelassen hatte. So bald ich sie erblickte/ erkandt ich sie/ denn es war eben eine von denen die da mit uns nach Ost-Indien gehen wollte/ und die mir so viel Verwunderung eingepräget hatte. Hier/ Probando, rieff ich/ siehest du diese Frau? Die ist es eben/ darber ich in solche Bestrtzung gerahten/ als ich sie als eine andere Europa den Wellen unterworffen gesehen. Sage doch/ wie kan es mglich seyn/ daß so ein schwaches uns zartes Thier ihren Spinnrocken verlassend sich willig in die Gefahr begiebet: Ein anders ist es mit uns Mnnern/ weil wir durch trbes Wetter zur Tugend angewehnet werden mssen.

Hierauf lchelt Probando ein wenig/ und sprach: Mein Dacier, sage ob es nicht besser sey nach Ost-Indien zu reisen/ als sich lassen hngen? Man hat doch noch auf dieser Reise Hoffnung sein Leben durchzubringen / da hier zum weitern Leben alle Hoffnung aus ist.

[]

Anmerkungen

[1] Schiffs-Distilateur der aus den Salz-Wasser ssses macht.

Quelle: Andreas Pinxner, Die hitzige Indianerin, Oder artige und curieuse Beschreibung derer ost-indischen Frauens-Personen, welche sowohl aus Europa in Ost-Indien ziehen oder darinnen geboren werden, die sein gleich aus vermischten oder reinem heidnischen Geblüte derer Indianer/ aus eigener Erfahrung entworffen / Durch den Dacier. Cölln: Bey Peter Marieau, 1701, S. 1–7. Online verfügbar unter: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0000226E00000000

Geschlechtergrenzen in der Reiseerfahrung: Andreas Pinxner, Die hitzige Indianerin (1701), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-291> [25.10.2024].