Carl Friedrich Bahrdt definiert bürgerliche Kultur (1789)
Kurzbeschreibung
Carl Friedrich Bahrdt (1740–1792) war evangelischer Theologe und aufklärerischer Schriftsteller. Er wurde mehrfach seiner Ämter enthoben, weil er mit seinen radikalen theologischen Überlegungen aneckte. In seinem 1789 publizierten Handbuch der Moral für den Bürgerstand entwarf Bahrdt die sogenannten bürgerlichen Tugenden Ordnung, Maßhalten und Fleiß. Er plädierte auf paradigmatische Weise dafür, sie als neue und universal denkbare Identität des – männlichen – Bürgers zu verinnerlichen.
Quelle
Fünftes Kapitel.
Bürgerliches Metier.
452) Nächst der innerlichen Oekonomie des Bürgers beruht ein grosser Theil seines Wohlstandes und seiner Glückseligkeit auf seinem Metier oder Berufsfach, welches er zum Besten des Staats (394.) übernommen hat. Wir betrachten also hier nicht mehr den Oekonom allein, sondern zugleich an ihm den Kaufmann, den Fabrikanten, den Handwerksmann, Und hier habt ihr, liebe Mitbürger, folgende Quellen eures Wolstandes aufzusuchen, und zu benuzen.
453.) I. Die erste ist Fleiß und Arbeitsamkeit überhaupt. Denn das seyd ihr nicht blos euch schuldig, daß ihr eure besten Stunden, eure frischesten Kräfte auf Arbeiten verwendet, durch welche ihr euren Antheil zum gemeinen Besten liefert, (so wie eure übrigen Mitbürger wiederum für euch arbeiten und eure Bedürfnisse besorgen) weil ihr dadurch Nahrung und Unterhalt für euch und eure Kinder und die Mittel gewinnet, die ihr zum frohen Genuss des Lebens vonnöthen habet; sondern ihr seyds – auch eurer Ehre schuldig, weil ihr die erwerbende Volksklasse ausmacht, und also gerade die schlechtesten Glieder der Nation seyn würdet, wenn ihr nicht die fleissigsten seyn wolltet: und endlich seyd ihrs auch Gott schuldig, der euch dazu Leben, Gesundheit und Kräfte verlieh, dass ihr sie zur Theilnehmung an den Zwecken Gottes gebrauchen, dass ihr nuzbare Menschen werden, und eure Mitmenschen leben und wirken solltet.
454.) II. Aber die Sittenlehre, die euch den Weg zur Glückseligkeit zeigt, sondert nicht nur Fleiß, sondern auch einen solchen Fleiß, der eure Mitmenschen, die bei euch arbeiten lassen, oder von euch kaufen, vergnügt und zufrieden mit euch macht. […]
460.) III. Eben so fodert die Sittenlehre von euch Güte, gegen die, welche euch euer Brod verdienen helfen, welche die Dinge, mit welchen der Kaufmann handelt oder die der Fabrikant und Handwerkmann bearbeitet, ihm roh sammlen, zuschleppen, in die Hand arbeiten: daß ihr solche armen Menschen nicht drückt, sie nicht nöthiget, euch wohlfeiler zu arbeiten, als sie dabei bestehen können, – sondern ihnen auch ihr Brod gönnen, und so mit ihnen umgeht, daß sie ihres Lebens dabei froh werden können.
461.) IV. Hiezu nehmet noch alles das was wir euch oben von Ordnung und Pünktlichkeit in Geschäften: (416.ff.) von nöthiger Aufsicht über die Vorräthe: (428.) von Memoralien, genauen Rechnungen und Aufbewahrung aller Beurkundungspapiere (429.) gesagt haben, und sezet noch besonders dieß hinzu, daß ihr sorgfältig und gewissenhaft, alle für eure Arbeiten und Waaren erhaltene Bezahlungen sogleich eintraget und abschreibet, damit euch nicht die Schande des Vorwurfs zuwachse, Gelder doppelt gefodert zu haben, oder eure Erben dereinst Forderungen machen, und solche aus euren Büchern beweisen, welche ihnen nicht gehören, und dadurch ihre Mitmenschen beschädigen.
462.) V. Vergesset dabei die wichtigen Pflichten gegen eure Lehrbursche, Dienstleute und Unterthanen nicht. Denn auch hier könnet ihr als wahre Menschenfreunde viel Gutes stiften, und Glückseligkeit befördern.
[…]
Quelle: Carl Friedrich Bahrdt, Handbuch der Moral für den Bürgerstand. Tübingen: Balz; Reutlingen: Fleischhauer, 1789, S. 210–13. Online verfügbar unter: https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/titleinfo/6341558
Weiterführende Inhalte
Holger Böning, Hrsg., Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts. Bremen: Edition Lumière, 2007.
Paul Münch, Lebensformen in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main/München: Propyläen, 1992.
Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart: Reclam, 2000.