Rudolf Zacharias Becker, „Vom Behexen, Zaubern und Vergiften“ (1788)

Kurzbeschreibung

Rudolf Zacharias Becker (1752–1822) war Volksschriftsteller, Lehrer, Journalist und Verlagsbuchhändler. Sein „Not- und Hülfsbüchlein“ war ein Bestseller unter den weltlichen Büchern des 18. Jahrhunderts und ein Klassiker der deutschen Volksaufklärung. Becker wollte Vorurteilen begegnen und neues Wissen als Anleitung für die Praxis vermitteln. Dabei spielte der Kampf gegen den Hexenglauben eine wesentliche Rolle: Becker griff die katholische Kirche inklusive Papst als Verantwortliche für die Hexenverbrennung an.

Quelle

Es überfallen die Menschen zuweilen Krankheiten und Zufälle, von denen man die Ursache nicht ergründen kann, oder die sehr wunderlich sind []. Auch machen sich manche Kranke allerhand Einbildungen: wie z. E. einer geglaubt, er sei von Glas; ein anderer, er habe eine Katze, eine Maus, ein Knäuel Zwirn und dergleichen im Leibe. Bei Kindern geschieht es oft, daß sie viel essen und doch nicht zunehmen: woran meistenteils die Würmer schuld sind. Ebenso verliert auch zuweilen eine Kuh auf einmal die Milch, wenn sie schädliche Kräuter frißt: oder Pferde fallen plötzlich, wenn sie von unverständigen Knechten verwahrloset werden. In solchen Fällen meinen einfältige Leute: es werde dem kranken Menschen oder Vieh, von bösen Leuten oder Hexen oder Zauberern etwas angethan, das ist, solche Leute brächten durch Hülfe des Teufels diese Zufälle zu Wege. Nun gibt es listige Leute, welche sich die Gelegenheit zu Nutze machen und sagen: sie könnten davor tun, oder die Hexerei wieder vertreiben. Sie geben nämlich dem Kranken gute Kräuter ein, oder machen nur allerhand Possen, welche nicht helfen und nicht schaden. Wenn nun unterdessen die Natur sich selbst hilft, so heißt es, der oder die hat davor gethan: und kommen solche listige Leute in den Ruf, als wären sie Meister über die Hexen und den Satan selbst, und lassen sich ihre Künste von den betrogenen Bauersleuten tüchtig bezahlen. Und dieser alberne Glaube an Hexen, Druden und wie die Dinger heißen, tut noch oft Schaden, daß ein Mensch den andern darüber verläumdet und daß schwere Feindschaften, Processe, ja wohl Mord und Todschlag daraus entstehen. Er stammet aber aus dem Heidentum und Judentum her, und beruht auf lauter Lug und Betrug. [] Und dieser falsche Glaube ging darauf von einem Ort zum andern immer weiter. Der Pabst, die Bischöfe und andere Geistlichen, welche davon hörten, meinten endlich auch, es sei wahr, und verboten das Hexen und Zaubern, weil dabei die christliche Religion verläugnet würde, bei Lebensstrafe. Sie reitzten auch die weltliche Obrigkeit an, daß sie die angeblichen Hexen und Hexenmeister lebendig verbrennen ließ. Wenn daher eine solche unglückliche Person in den Verdacht kam, daß sie eine Hexe sei, so marterte man sie auf der Tortur so lange, bis sie sagte: Ja, sie wäre eine. Dann wurde sie wieder gemartert, bis sie ihre Bekannten angab, die mit ihr auf dem Teufels-Schmaus gewesen sein sollten. Da nannte denn die arme Gemarterte in der Angst eine Menge Leute, die ihr eben einfielen. Diese wurden auch gefangen genommen und gemartert, bis sie sich schuldig bekannten, um nur von der Marter durch den Tod erlöst zu werden: und dann ging’s mit ihnen allen auf den Scheiterhaufen. Eine und die andere Frau, welche die Hexensalbe gebraucht hatte, sagte auch wohl ohne Marter aus, was die Richter wissen wollten, und bestärkte diese in der Einbildung, daß etwas Wahres daran sei. Auf solche Art haben christliche Obrigkeiten und Priester, wegen dieser grundfalschen und lächerlichen Meinung von Teufelsbindnissen und Hexen, vor Zeiten viele Tausend unschuldiger Menschen gequält und ums Leben gebracht. Und dieses grausame Unglück hat in Deutschland gedauert bis vor 30 Jahren, da in Wirzburg die Äbtissin Renate als die letzte Hexe verbrannt worden ist. Nun nehmen aber die Gerichte, Gott sei Lob und Dank! gar keine Klage wegen Hexerei mehr an: sondern strafen vielmehr denjenigen, der jemanden derselben beschuldiget, als einen Verläumder. Denn man weiß ganz gewiß, daß es niemals eine wirkliche Hexe gegeben hat, und nun und nimmermehr keine geben wird; ob es gleich allerhand natürliche Kunststücke gibt, Menschen und Vieh krank zu machen, oder sonst Schaden anzurichten. []

Quelle: Rudolph Zacharias Becker, Vom Behexen, Zaubern und Vergiften, in Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute. Gotha, Leipzig, 1788 (online verfügbar unter: https://doi.org/10.11588/diglit.38842#0369); abgedruckt in Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart: Reclam 2000, S. 346–48. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.

Holger Böning, Hrsg., Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts. Bremen: Edition Lumière, 2007.

Paul Münch, Lebensformen in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main/München: Propyläen, 1992.

Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart: Reclam, 2000.

Rudolf Zacharias Becker, „Vom Behexen, Zaubern und Vergiften“ (1788), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-307> [23.10.2024].