Johann Grimm, Eine Reise über Straßburg hinaus (1775)
Kurzbeschreibung
Johann Friedrich Carl Grimm (1737–1821) aus Eisenach studierte Medizin in Göttingen. Später wurde er zum Leibarzt des Herzogs von Sachsen-Gotha in Gotha ernannt. Bekannt wurde er durch die Übersetzung der Hippokratischen Sammlung ins Deutsche. Seine Beschreibung einer Reise nach Frankreich betonte den langsamen Wechsel vom Deutschen ins Französische und die fast unmerkliche Veränderung von Wohnformen und Verhaltensweisen.
Quelle
[…]
Es hat mir sehr wohl, und besser, in Straßburg, als in irgend einer anderen Stadt, die ich noch zur Zeit gesehen habe, gefallen, und es hat mir wehe gethan, daß ich es verlassen mußte, so oft ich mich gestern früh um- und etwas weiter davon entfernt sah. Das Erdreich ist auf der nordwestlichen Seite der Stadt schwärzlich brauner Thon, das ich auch gut genug sehen konnte, ungeachtet die Erde dünne mit Schnee bedeckt war. Alles Land, das in einer Ebne besteht, wird zum Ackerbau genutzt, und nur erst in einer Entfernung, wo es sich ein wenig hebt, fangen die Weinberge an.
Der Weg ist eine gute Chaussee zu beyden Seiten mit Obst und Nußbäumen, jedoch unterbrochen besetzt. Nach einer Stunde erreichten wir das erste Dorf von der Stadt aus, Hußheim. Die Dörfer haben nichts unterscheidendes von denen, die an dem östlichen Ufer des Rhein liegen. Die Häuser sind aus Holz, ausgekleibt, mit Ziegeldächern und von abwechselnder Größe. Sie stehen mehr zerstreut, als in einer Reihe. Der Horizont ist ziemlich groß, und der Weg ohne einen ordentlichen Berg; nur dann und wann kommen kleine Hügel vor, gegen Mittag ist alles frey, gegen Norden aber in einiger Entfernung etwas Kiefernwald. Gut sieht es aus, wo eine Chaussee die andre schneidet, welches hier sehr oft geschiehet. Weinberge sind zwischen den Dörfern am Wege. Es ist die Landesart, die Stöcke mit Pfählen, die nicht unter fünf Fuß hoch sind, zu versehen. Wir kamen auf einen guten Wege noch durch vier Dörfer: nämlich Stetten, Offenau, Bibersheim und Schefferstedt, die zum Theil eine Stunde, zum Theil nur eine halbe Stunde von einander liegen, und sich in Ansehung des Aeußern völlig gleichen. Auch der Boden, Acker- und Weinbau sind überall dieselbigen, so wie die Verzäumungen und Bäume an den Wegen nichts besonderes haben. Inzwischen nahm doch die Ebne mehr ab, und die Hügel wurden häufiger. Nach zehn Uhr trafen wir in Wilten ein, das vier Stunden von Straßburg abliegt und ein Dorf ist, wie die ich bereits gesehen hatte, aber doch ein erträgliches Wirthshaus hat, weil hier eine Post und die ordentliche Landstraße nahe Saverne ist.
Der Kutscher mußte sich eine halbe Stunde aufhalten, und dieses gab uns Gelegenheit nochmals zu frühstücken. Die Sitten werden schon ziemlich französisch, ungeachtet man noch im Elsaß ist. Man trinkt frühe Wein, anstatt eines warmen Getränkes, und wärmt sich beym Kamine, anstatt des Ofens. Die deutsche Sprache verliert sich auch mehr und mehr. Doch spricht man ein französisch, das einem Fremden verständlich und besser ist, als Batois. Von da bis Saverne, der Zabern, hatten wir noch zwo kleine Stunden. Der Weg ist immer gute Chaussee, wie vorhero, und der Acker- und Weinbau vermischt, auch der Letztere sparsamer, als unten in der Tiefe nach Osten zu. Man kommt von Wilten aus auch mehr Berg an, und sieht nun, wenn man Landersheim, ein den vorigen ähnliches Dorf erreicht hat, das nahe Vogesische Gebürge. Von da bis Mehlsheim hatten wir abermals auf einem gleichen Wege eine halbe Stunde, und über Hügel, die mit der Fläche in einem röthlichen Sand und Thonboden abwechselten, noch eine halbe Stunde bis Saverne oder Elsaßzabern, wo wir um ein Uhr anlangten. Es ist ein kleiner unhaltbarer Ort, am Fuße des nordlichen Endes des Wasgauischen Gebürges und ein Paß über dasselbe. So wie ich es ganz übersehen habe, denn es liegt in einer Vertiefung an einem kleinen Fluße, mag es ungefähr 650 Häuser haben, die mehrentheils erträglich gebaut sind.
Unser Fuhrmann fütterte hier seine Pferde, allein da ich noch nicht völlig von meinem Schnupfenfieber befreyt war, so wurde ich gehindert, nähere Kenntniß von dem Orte einzuziehen. Gegen drey Uhr begaben wir uns auf die Reise über den Paß. Hinter der Stadt kommt man in einen hohlen Weg, der jedoch wegen der guten Chaussee wohl zu bereisen ist. Der am Tage liegende Theil des Gebürges ist rother Thon mit röthlichem Thon und Sandsteinen vermischt. Die Berge sind im Perpendikul keine 500 Fuß hoch, und mit Waldung von Eichen und Buchen besetzt. Mit diesem hohlen Wege fängt sich die im ganzen Elsaß berühmte Zabernsche Straße an. […]
[…] nach Verlauf einer Stunde erreichten wir ein Dorf dessen Namen mir entfallen, und nach zwo kleinen Stunden kamen wir in die erste Lothringische Stadt Pfalzburg. Ungeachtet man uns zu einem Thore hinein gelassen, so hatte man doch bereits das andere, ehe wir hinauszukommen es erreichen konnten, schon gesperrt, und da es für niemand, als den Courir, ohne viele Weitläuftigkeiten und Bitten bey dem Major, wieder geöfnet werden durfte, so mußten wir uns gefallen lassen unser Nachtlager hier zu nehmen. Pfalzburg ist ein kleines Städtgen, das eine Art Festung ist, und Mauern und Thore nebst einer kleinen Besatzung hat. Es liegt zwar auf der Westseite des Vogesischen Gebürges, allein nicht so tief wie Zabern an der Ostseite. Die Häuser sind niedrig von einem Stocke aus Holz und Leim gebauet, und von Ackerleuten und Handwerkern bewohnet. Man bedient sich der Kamine mehr, als der Oefen, und trägt sich und lebt ganz französisch. Nur die Stallknechte und Hausbedienten sprechen noch etwas deutsch, die Eingebohrnen aber beynahe nichts als französisch. […]
Quelle: Johann Friedrich Carl Grimm (anonym), Bemerkungen eines Reisenden durch Deutschland, Frankreich, England und Holland in Briefen an seine Freunde. 3 Bde., Altenburg 1775. Bd. 1, S. 198–201; 203. Online verfügbar unter: https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/pageview/9475445
Weiterführende Inhalte
Bernhard Struck, „Vom offenen Raum zum nationalen Territorium. Wahrnehmung, Erfindung und Historizität von Grenzen in der deutschen Reiseliteratur über Polen und Frankreich um 1800“, in Etienne François, Jörg Seifarth, und Bernhard Struck, Hrsg., Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Frankfurt/New York: Campus, 2007, S. 77–104.