Gehört der Ramadan zu Deutschland? (10. Juli 2015)
Kurzbeschreibung
Deutschlands Politiker gefallen sich darin, mit Muslimen während des Ramadan das Fastenbrechen zu feiern. Das ist gut so, meint Raoul Löbbert, denn Religion braucht Gastfreundschaft. Löbbert ist stellvertretender Redaktionsleiter der ZEIT-Beilage Christ & Welt. Volker Resing, Chefredakteur der in Freiburg und Berlin erscheinenden Herder-Korrespondenz, hält dagegen: Die Politik dürfe den Glauben nicht für ihre Zwecke instrumentalisieren.
Quelle
Pro
Warum macht sie das? Wieso feiert Angela Merkel bei einem Empfang in Berlin mit Muslimen das Fastenbrechen im Ramadan? Merkel fastet nicht. Sie ist keine Muslima. Der religiöse Brauch dient ihr offensichtlich nur als Mittel zum Zweck. Zwar will sie ein Bekenntnis ablegen, allerdings ein politisches und kein religiöses: „Der Islam gehört unzweifelhaft zu Deutschland.“ Mit diesem Satz wird sie kurz darauf in den deutschen Medien zitiert. Da kann man leicht behaupten, Merkel instrumentalisiere den Ramadan und die ihm zugrunde liegende Spiritualität für ihr Ideal eines bunten, toleranten und multireligiösen Deutschland. Aber wird dadurch auch das religiöse Gefühl der Fastenden marginalisiert? Eher nicht. Niemand hat die Muslime schließlich an den Stühlen festgebunden, die mit Deutschlands Politikern in den Ramadan-Wochen nach Sonnenuntergang tafelten in der Öffentlichkeit. Meist waren die Muslime über so viel Instrumentalisierung sogar hocherfreut. Es sei denn, ihnen wurde wie beim Fastenbrechen im NRW-Landtag Fleisch vorgesetzt, das nicht „halal“ war. Dann war die Empörung kurz, aber heftig.
So sehr haben wir uns mittlerweile daran gewöhnt, mit Instrumentalisierung Heimtücke oder niedere Beweggründe zu verbinden, dass der Begriff vollends zum Synonym für Missbrauch wurde. Missbrauch jedoch impliziert Gewalt in Kombination mit Macht. Instrumentalisierung dagegen heißt: Einsatz von Mitteln zu einem bestimmten Zweck. Instrumentalisierung an sich ist also weder gut noch schlecht. Sie gehört unausgesprochen zu den Standardwerkzeugen im politischen Alltagsgeschäft. Als Papst Franziskus etwa auf Lampedusa nordafrikanische Kinderköpfe tätschelte, instrumentalisierte er streng genommen das Leid der Kinder, um die Flüchtlingspolitik der EU anzuprangern. Nicht einmal seine ärgsten Widersacher in der Kurie jedoch würden ihm das jemals ankreiden. Wie könnten sie auch? Der Lampedusa-Besuch war eine große Geste der Mitmenschlichkeit, gerade weil er die perfekte Inszenierung und Instrumentalisierung von Mitmenschlichkeit war. Der gute Zweck korrespondierte formvollendet mit der Friedfertigkeit der Mittel. Ähnlich ist es bei Angela Merkel und ihrer Anwesenheit beim Fastenbrechen. Der Zweck ist klar: Die studierte Physikerin will den Deutschen die Macht des Faktischen vor Augen führen. Die lautet: Es gibt vier Millionen Muslime in Deutschland. Viele begehen jedes Jahr den Fastenmonat Ramadan. Ergo gehört der Ramadan zu uns und mit ihm der Islam – und zwar „unzweifelhaft“.
Natürlich weiß Merkel, dass das Unzweifelhafte seit Pegida und der AfD von immer mehr Deutschen in Zweifel gezogen wird. Der Islam, das ist die zweite Botschaft ihrer Instrumentalisierung, mag zwar faktisch zu uns gehören, alltäglich oder besser: selbstverständlich ist er aber nicht. Das liegt nicht an den Muslimen, die bereit sind, friedlich zu fasten und zu leben in Deutschland, sondern an den Deutschen, die nicht bereit sind, den Glauben der Muslime zu achten und als verwandt anzusehen. 57 Prozent der Deutschen halten etwa den Islam laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aktuell für eine Bedrohung. 61 Prozent sind der Meinung, er passe nicht in die westliche Welt. Viele Menschen fürchten sich vor dem islamistischen Terror. Zu Recht. Gerne übersehen wird aber, dass der Terror gerade die Verwandtschaft im Glauben, Fasten und Feiern zerstören soll, die Angela Merkel beim Fastenbrechen beschwört und durch die Beschwörung auch erschafft. Die Kritiker sehen in so viel interreligiöser Geselligkeit einen Verrat an der christlich-jüdischen Tradition in Deutschland – einer Tradition, die es so niemals gab und die nur ein Konstrukt ist, mit dem manche das von Ausgrenzungs- und Vernichtungsversuchen geprägte Verhältnis der Deutschen zum Judentum schönreden und so für weit weniger noble Zwecke instrumentalisieren.
Das Gegenteil von Ausgrenzung, das zeigt das Fastenbrechen der Kanzlerin, ist eine manchmal vielleicht krampfige, aber aufrichtig bemühte Gastfreundschaft. Zugegeben, der Zweck ist nicht originell und die Mittel nicht perfide. Es wird gegessen und getrunken. Das ist alles. Doch gerade diese Einfachheit ist als Symbol so stark, dass sie auch Papst Franziskus hätte einfallen können. Von Jesus, der sich von niemandem vorschreiben ließ, mit wem er öffentlich das Brot brach, mal ganz zu schweigen.
2013 formulierte Franziskus zum Ende des Ramadan eine Grußbotschaft an die Muslime und sprach von „Wertschätzung und Freundschaft“. Bislang hat Franziskus mit den Muslimen noch nicht das Ende der Fastenzeit gefeiert – oder sie mit ihm. Aber das dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Der Wille zur Instrumentalisierung ist auf beiden Seiten vorhanden. Zum Glück!
Die Politik darf den Glauben nicht für ihre Zwecke instrumentalisieren
Contra
Das Fasten ist eine der fünf Säulen des Islam, Herzkammer des Glaubens von weltweit 1,6 Milliarden Muslimen. Deswegen gehört das Fastenbrechen, oder „Iftar“, im Kern nicht zu Deutschland, sondern zum Islam. Wir müssen endlich aufhören, im Namen einer irgendwie gearteten gesellschaftlichen Kuscheligkeit übergriffig zu werden und Religion in ihrem Wesen nicht zu achten. Gerade eine säkulare Gesellschaft muss das lernen. Weihnachten gehört auch nicht zu Deutschland, Weihnachten gehört den Christen. Natürlich kann es dann kulturelle Verflechtungen und allgemeine Adaptionen geben, aber die kommen danach.
Wenn der Islam mit zu Deutschland gehören soll – der Gedanke ist zumindest naheliegend bei rund vier Millionen Muslimen hierzulande –, dann gebietet dies zunächst eine allgemeine und praktizierte Achtung vor der für einige noch fremden Religion. Keine Aneignung oder Anbiederung. Der Respekt verlangt, dass man diese andere Religion nicht von außen verzweckt oder nutzbar macht für andere Inhalte oder Interessen wie Integration, friedliches Miteinander oder interreligiösen Dialog. Dies aber geschieht, wenn in Deutschland allerorten „aus Anlass des Ramadan“ Fastenbrechen veranstaltet werden – von staatlichen oder christlichen Organisatoren. Es gibt eine Art oft areligiöse Iftar-Inflation, die eben gerade dann falsch ist, wenn doch der Islam zu einer akzeptierten Normalität in Deutschland werden soll.
Das Fastenbrechen ist ein soziales Ereignis, auch das gehört zur islamischen Tradition. Aus muslimischen Ländern wird berichtet, dass etwa auch Christen ihre Nachbarn zum Iftar-Mahl einladen. Selbst der amerikanische Präsident bittet jedes Jahr dazu ins Weiße Haus. Nun hat auch die Bundesregierung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem „Empfang aus Anlass des Ramadan“ eingeladen. Zur Begrüßung sagte die einladende Integrations-Staatsministerin Aydan Özoguz, die selbst Muslima ist, es handele sich bei der Veranstaltung nicht um einen religiösen Akt, sie selbst habe auch nicht gefastet. Vielmehr gehe es um ein „Zeichen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Der Fastenmonat verlange von den Gläubigen Disziplin und Entbehrungen, er sei aber auch die Zeit der offenen Herzen und der Nächstenliebe, der Begegnung mit Freunden und Familie – und der Solidarität mit den Schwachen und Kranken. Es drängt sich die Frage auf, ob die Bundesregierung, um Zusammenhalt und Vielfalt im Land zu fördern, auch bald zu Jom Kippur einlädt oder zum Pfingstfest.
Liegt denn nicht gerade dem Herausgreifen des Ramadan schon eine gedankliche Sonderbehandlung des Islam zugrunde? Aydan Özoguz hat in ihrer Rede auch noch das gemeinsame Verurteilen von Terror und Ausgrenzung beteuert. Da muss beim Thema Islam, der zu Deutschland gehört, gleich auch noch ganz politisch korrekt eine Absage an den internationalen Islamismus formuliert werden. Das scheint kaum anders denkbar. Aber ist denn diese Politisierung des Ramadan würdig? Von entspannter Pluralität zeugt das eher nicht. Bei dem Empfang sprachen Muslime, Christen und Juden. Wäre es nicht besser gewesen, die Bundeskanzlerin hätte stattdessen eine Moscheegemeinde besucht und dort geredet – statt selbst das religiöse Fest zu adaptieren? Barack Obama lädt alle großen Weltreligionen jeweils einmal im Jahr zu einem dann eigenen religiös aufgeladenen Empfang ein. „In God we trust!“ – das aber ist eine andere Tradition, so etwas gab es in Deutschland bislang nicht. Wollen wir das?
Der Jesuit Christian Troll hat in den Neunzigerjahren in der Katholischen Akademie in Berlin das Fastenbrechen eingeführt. Es war ein gastfreundschaftlicher Akt und diente auch dazu, unterschiedliche muslimische Strömungen an einen Tisch zu bringen. Dieses Anliegen des Religionsdialogs verfolgt die Akademie mit großem Engagement noch immer. Doch in diesem Jahr hat nun das Erzbistum Berlin selbst im Ramadan „ganz herzlich zum Fastenbrechen“ in die Akademie eingeladen. Diözesanadministrator Tobias Przytarski schreibt, es sei wunderbar, dass der Ramadan die Menschen zusammenbringe. Beim gemeinsamen Fastenbrechen könnten der „Glaube und das Leben“ gefeiert werden. Bei dem Abend in der Akademie soll ein Preis verliehen werden, es wird einen Vortrag eines Islamwissenschaftlers geben, es gibt eine Koranrezitation und ein Tischgebet von Przytarski. Vielleicht dient ja das dem gegenseitigen Verständnis, wenn Christen und Muslime auf diese Weise zusammenkommen. Möglich ist es aber eben auch, dass mit so einer Veranstaltungsmixtur weder die eigene Religion noch die des anderen wirklich ernst genommen und respektiert wird. Das wäre dann übergriffig und kein Dialog. Wolfgang Huber nennt das die Gefahr der „Selbstvergleichgültigung“.
Quelle: „Fastenbrechen: Gehört der Ramadan zu Deutschland?“, Die Zeit, 10. Juli 2015.