Ziegelarbeiter aus Lippe als Wanderarbeiter im 19. Jahrhundert

Kurzbeschreibung

Im Fürstentum Lippe war Wanderarbeit schon im 17. Jahrhundert verbreitet. Viele Männer gingen im Sommer nach Friesland und Holland, wo sie als Grasmäher oder Torfstecher arbeiteten. Seit Ende des 17. Jahrhunderts spezialisierten sie sich auf die Arbeit in Ziegeleien, und 1865 arbeiteten fast 10.000 Lipper als Ziegler. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dominierten sie das Ziegeleigewerbe im nordwestdeutschen Raum, den Niederlanden und Dänemark. Der folgende Auszug aus den Erinnerungen des lippischen Ziegelmeisters Friedrich Mahlmann (1858-1947) vermittelt einen Eindruck in das Leben dieser Saisonarbeiter.

Quelle

[]

Am 17. November 1872 war unsere Konfirmation. Dann kam im Winter der Ziegelmeister Fritz Lutter aus Sabbenhausen, ein Vetter meines Vaters. Die beiden machten nun den Vertrag, dass wir beide, mein Bruder Christian und ich, mit ihm nach der Ziegelei in Kleinenhof bei Esterbrügge im Altenlande gehen sollten. Von dem Schwein, das wir geschlachtet hatten, nahmen wir einen Schinken und einige Würste mit; das Weitere sollte drüben gekauft werden. Am 6. April machten wir uns auf die Reise. Ach, der erste Abschied war schwer, aber er musste sein. Er ging mir auch, wie Fritz Wienke später schrieb: „Über Schleswig dort nach Süden gönnet mir noch einen Blick!“ Leichter wurden uns Abschied und Reise, weil die meisten Arbeiter, darunter drei Jungen von vierzehn bis fünfzehn Jahren, die auf jene Ziegelei gingen, aus Sabbenhausen, Ratsiek und Wörderfeld waren. Wir konnten derzeit schon mit der Eisenbahn reisen, aber Lügde hatte noch keinen Bahnhof. Darum mussten wir erst den Weg bis Pyrmont, neun Kilometer, zu Fuß machen.

Auf der Ziegelei musste ich zuerst lernen, Handsteine vom Streichtisch abzutragen. Jedesmal, wenn der Steinmacher einen Stein geformt hatte, trat ich auf einen Hebel, das Brett mit dem Stein wurde hochgehoben, es ging „klink, klink“, dann griff ich nach dem Stein und trug ihn ins Gerüst von Brettern, das wir eine „Ruste“ nannten, zehn Schicht hoch. Das musste aber behende gehen, denn wenn der Steinemacher den nächsten Stein gestrichen hatte, musste ich schon wieder auf den Hebel treten und zugriefen. So musste ich wohl siebentausendmal am Tag hin und her rennen. Dann hatte ich besonders darauf zu achten, dass die Steine auf der Ruste nicht schief zu stehen kamen, und weil das noch leicht war, sagte dann der Steinemacher wohl: „Ek mot düu euerst moi wuüssen, wo diu’se setten moßt.“ Vom ihm lernte ich es dann bald. Er war überhaupt ein guter Mann.

Wir waren mit 24 Mann auf dem Werke. Der Meister war streng. Er war wohl zufrieden mit unserer Arbeit, aber es sollte immer noch besser gehen und noch mehr geschafft werden, denn um jene Zeit wurde in Hamburg so flott gebaut. Doch arbeiteten wir schon so lange, wie das Tageslicht es erlaubte, von morgens früh frei bis abends neun Uhr. Bei dieser langen und schweren Arbeit kam in mir kein Heimweh auf, wohl aber sonntags, wenn ich allein war und die Schulkameraden in der Heimat dachte.

Am 14. Oktober war Schluss der Kampange. Ich hatte einen Stundenlohn von elf Pfenning gehabt und bekam nun für die Zeit von 27 Wochen 90 Taler ausgezahlt. Wenn ich die baren Ausgaben, die Beiträge zur Kommune und das Reisegeld abzog, konnte ich meinen Eltern noch 45 Taler hinlegen. Dabei hat die Freude des Wiedersehens ihnen und mir die Tränen in die Augen getrieben.

[]

Quelle: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, hrsg. im Auftrag des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe, Nr. 42, Detmold 1973, S. 36-38, in Deutsches Historisches Museum Berlin, Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500-2005. Berlin, 2005, S. 298.

Belegschaft einer Ziegelei in Leeste (1912)

Quelle: Privatbesitz Wilfried Meyer; abgedruckt in Horst Rössler, Hollandgänger, Sträflinge und Migranten : Bremen und Bremerhaven als Wanderungsraum. Hrsg. Förderverein Deutsches Auswanderermuseum e.V., Bremerhaven. Bremen: Edition Temmen, 2000, S. 113.

Ziegelarbeiter aus Lippe als Wanderarbeiter im 19. Jahrhundert, veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-52> [23.10.2024].