Auszüge aus einem Bericht der Hamburger Sozialbehörde (18. Mai 1951)
Kurzbeschreibung
Bis in die 1950er Jahre hinein war die Nachkriegszeit in Deutschland von erheblicher materieller Not geprägt, vor allem Wohnungsnot, Hunger und fehlendes Heizmaterial erschwerten das Überleben. Diese Auszüge aus dem Jahresbericht der Oberfürsorgerin am Bezirksamt Wandsbek (Hamburg) beschreiben die elenden Verhältnisse, in denen ein erheblicher Teil der Bevölkerung der Stadt Hamburg in der Nachkriegszeit lebte. Durch Bombenangriffe war fast die Hälfte des Wohnraums in Hamburg zerstört worden, sodass zehntausende Menschen in Notunterkünften leben mussten. Hinzu kamen zahlreiche Menschen, die durch den Krieg zu Flüchtlingen, Vertriebenen, Displaced Persons, Evakuierten, Zwangsarbeitern oder Kriegsgefangenen geworden waren und nun eine Unterkunft brauchten.
Quelle
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„Die Mütter wissen nicht mehr, was sie ihren Kindern anziehen sollen. Alle Vorräte sind erschöpft, die Verwandtenhilfe ist bis ins letzte ausgenützt. Ganz besonders fehlt es an Windeln. Zum Teil werden Bezugsscheine für Kleidungsstücke ausgegeben, ohne daß sie diese Waren bekommen, oder aber Sachen liegen in den Geschäften aus, und die Leute bemühen sich vergebens um entsprechende Bezugsscheine.“
„Die Hausfrauen sind häufig genug verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Familie satt kriegen sollten, so daß ein Teil neuerdings nicht davor zurückschreckt, Lebensmittel aus den Eisenbahnwaggons zu räubern. Besonders erschwerend in diesem Punkt war in den letzten Monaten das Fehlen von Kartoffeln und die geringe Brotmenge. Dazu kommt, daß allgemein eine rechte Mutlosigkeit um sich griff, die teils eine deprimierte, teils eine apathische oder resignierte Stimmung hervorgerufen hat. Die Aussichtslosigkeit, überhaupt jemals wieder voran und in geregelte Verhältnisse zu kommen, lähmt bei der Bevölkerung die Schaffenskraft und die Arbeitsfreudigkeit. Dazu kommen weiter die geringen Löhne, die trostlosen Wohnverhältnisse, das Fehlen des Nötigsten zum Lebensbedarf, was die Menschen nicht zu einer aktiven Einstellung kommen läßt.“
„Die Befriedigung der Bevölkerung mit Ernährung, Kleidung und Hausrat ist jetzt wesentlich eine Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Familie. Der grössere Teil der Bevölkerungskreise kann aus Geldmangel die angebotenen und doch sehr nötigen Dinge nicht kaufen.“
„Weite Kreise sind durch die Geldneuordnung hart betroffen, insbesondere die Alten, die von Ersparnissen gelebt haben und jetzt vor dem Nichts stehen, und alle diejenigen die ihre Arbeit verlieren oder befürchten müssen, sie in absehbarer Zeit zu verlieren. Alle jungen Menschen in der Berufsausbildung, denen durch die veränderte Lage die Mittel zur Fortsetzung der Ausbildung genommen sind, alle diejenigen, die mit Hilfe von Angehörigen in der Ostzone lebten, und schließlich alle die, die sich von Schwarzmarktgeschäften ernährten.“
„Da auf der einen Seite von einer Anzahl Menschen jeder Luxusartikel gekauft werden kann, wird auf der anderen Seite die Not doppelt fühlbar gespürt. Sie wird schmerzlicher und neidvoller empfunden, als vor der Zeit der Währungsreform, da die überzeugende Mehrzahl des Volkes darben musste.“
„Das Elend, in dem viele dieser Familien leben, ist unbeschreiblich. […] Es ist kein Einzelfall, daß für 5-6 Personen 2 Luftschutzbetten ohne Matratzen mit 3-4 Wolldecken, 1 Tisch und 2 Stühle vorhanden sind. Die Kinder laufen zum Teil noch jetzt [Dezember] ohne Strümpfe in zerlumpten Schuhen und hocken mit dick aufgeschwollenen Händen und Füssen im Bett. Die Eiszapfen hängen von den Wellblechdecken neben ihnen herunter.“
„Viele Notstände in den Familien und manche Erziehungsschwierigkeiten haben ihre Ursachen in gesundheitlichen und seelischen Schäden der Mütter, die ihre Kräfte völlig verbraucht haben.“
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Quelle: StaHH, Sozialbehörde II, 012.11-1, Bd. 2, 18. Mai 1951, Jahresbericht der Oberfürsorgerin, Bezirksamt Wandsbek, Ortsamt Walddörfer, S. 3; abgedruckt in Barbara Dünkel, Verena Fesel, Hrsg., Wohlfahrtspflege, Volkspflege, Fürsorge. Münster, 2001, S. 27-34.