„Wie der türkische Arbeiter sich in einem fremden Land verhalten und seine Identität bewahren soll“ (1963)

Kurzbeschreibung

Diese Broschüre der türkischen Anstalt für Arbeit und Arbeitsvermittlung erhielt jeder türkische Arbeitnehmer, der zwischen 1961 und 1963 im Rahmen des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens nach Deutschland kam. Die antikommunistische Haltung des Textes lässt sich mit der feindlichen Darstellung von BRD-Gastarbeitern seitens der DDR-Politik vergleichen.

Quelle

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein nationalistischer Staat. Die Deutschen, die dort leben, sind, genau wie wir, Nationalisten und Feinde des Kommunismus. Aber auch dort werden Personen, die sich von außen hineingeschlichen haben und Schaden anrichten wollen, sich unter unsere Arbeiter mischen und jede Art von Propaganda verbreiten, um sie ihrer Nationalität und Religion zu entreißen und in die rote und unentrinnbare Falle des Kommunismus zu locken. Sie versuchen, ihre giftigen Ideen einzugeben. Sie versprechen Geld und Frauen, versuchen, euch die Freude an eurer Arbeit zu nehmen und euch in die Irre zu führen, indem sie versprechen, euch eine bessere Arbeit zu besorgen. Und was noch schlimmer ist: jedesmal, wenn sie können, versuchen sie, unsere Nation, unser Land, unsere Regierung, unseren Staat, unsere Staatsordnung und unsere glorreiche Armee in ein schlechtes Licht zu rücken und euch vom rechten Weg abzubringen. Zu diesem Zweck versuchen sie, euch in angetrunkenen, müden und trüben Momenten zu erwischen, um sich euch zu nähern. Wenn ihr solche Menschen wittert, sollt ihr diese sogleich aus eurem Kreis ausschließen. Es mögen einige Kollegen mit schwachem Charakter unter euch sein. Laßt solche nicht frei walten und benachrichtigt unsere Konsulate.

Solltet Ihr Kollegen haben, die sich von den Lügen kommunistischer Rundfunksender irreführen lassen könnten, so erinnert sie an die oben angeführten Tatsachen.

Unser Ministerium für Presse, Funk und Tourismus übermittelt Rundfunksendungen auf Kurzwelle in türkischer Sprache, damit ihr Nachrichten aus eurem Land rechtzeitig bekommt und die Volkslieder, die ihr vermißt, hören könnt.

Darüber hinaus sollt ihr mit den Deutschen, die unsere Freunde und Verbündeten sind, euren Landsleuten in Deutschland und den anderen Fremden, die, wie ihr auch, nach Deutschland gekommen sind, um ihr Brot zu verdienen, keinen Streit anzetteln. Wenn solche Vorfälle in den Zeitungen veröffentlicht werden, schadet das dem Ansehen und dem glorreichen Namen des Türkentums. Die deutschen Frauen werden höflich und nett zu euch sein, weil sie das Heldentum des Türken lieben. Das dürft ihr nicht mißverstehen, Die Ehre dieser Menschen, unter denen ihr lebt, müßt ihr wie eure eigene Ehre betrachten. In den westlichen Ländern wird es ganz und gar nicht gern gesehen, wenn jemand eine Frau in irgendeiner Form belästigt und versucht, sich ihr auf ungebührende Weise zu nähern.

Die Familie wird in Deutschland genauso als heilig angesehen wie in der Türkei. Es wird nicht verziehen, wenn man eine anständige Frau mit böser Absicht ansieht. Wenn ihr verheiratet seid, soll nichts euch dazu verführen, eure treue Frau zu vergessen, die in eurem Heim geduldig auf euch wartet.

Kein türkischer Arbeiter, der im fremden Land arbeitet, darf vergessen, daß unsere heldenhaften Vorfahren, die bis nach Wien und bis zur Donau vorgedrungen sind, niemals die Ehre anderer angetastet haben und wenn sie in einem Weinberg Weintrauben oder in einem Garten eine Feige nahmen, sofort den Gegenwert unter die Pflanze legten oder in einem Beutelchen an einen Ast hängten. Über die Türken sind bis heute Worte wie Dieb, ungerecht, unehrlich oder ungezügelt nicht gefallen. Auch ihr werdet keinen Anlaß dafür bieten.

Die Welt kennt die Deutschen als eine fleißige Nation. Wenn die arbeiten, schweifen sie nicht ab und halten sich genau an das Wort ihrer Vorgesetzten. Da die deutschen Arbeitgeber gehört haben und wissen, daß auch die Türken fleißig und disziplinliebend sind, verlangen sie von uns Arbeiter. Ihr dürft nicht zulassen, daß dieses gute Bild des Türken befleckt wird. Arbeitet wie Bienen, seid wachsam und lernt schnell, was ihr noch nicht wißt. Haltet euch streng an die Betriebsordnung. Beginnt die Arbeit pünktlich und beendet sie pünktlich. Laßt euch nicht krankschreiben, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Werdet eurem Vorarbeiter und dem Arbeitgeber gegenüber nicht grob und laut. Wählt jemanden unter euch aus, dem ihr vertraut, damit eure Rechte nicht verlorengehen und eure Wünsche und Klagen dem Arbeitgeber in richtiger Form vorgetragen werden können. Nehmt die Vermittlung durch Betriebsräte, die es in deutschen Firmen gibt, in Anspruch und werdet Mitglieder in den Gewerkschaften. Solltet ihr Wünsche und Klagen haben, die unerfüllt beziehungsweise unerledigt geblieben sind, obwohl ihr all diese Wege gegangen seid und bei denen ihr darauf besteht, im Recht zu sein, so meldet euch beim nächsten Arbeitsamt, und wenn auch das nicht hilft, meldet euch persönlich oder schriftlich bei unserem Arbeitsattache in Bonn. In Zukunft werden auch in anderen Städten Arbeitsattaches eingesetzt. Bis dahin könnt ihr euch an das nächste türkische Konsulat wenden. Unsere Konsulate versuchen alles in ihrer Kraft stehende, um euch zu helfen. Aber sie erwarten auch einiges von euch.

Quelle: Türkische Anstalt für Arbeit und Arbeitsvermittlung, Wie der türkische Arbeiter sich in einem fremden Land verhalten und seine Identität bewahren soll. Ursprünglich 1963 auf Türkisch veröffentlicht als „Türk Işçisi Yabancı Ülkede Nasıl Davranmalı, Nasıl Benliğini Korumalı“; Wiederabruck in Fremde Heimat: Eine Geschichte der Einwanderung aus der Túrkei. Hrsg. Aytaç Erylmaz und Matilde Jasmin, Essen: Klartext Verlag, 1998, S. 120-122. Deutsche Übersetzung von Recai Hallaç.

„Wie der türkische Arbeiter sich in einem fremden Land verhalten und seine Identität bewahren soll“ (1963), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/migration/ghis:document-87> [30.11.2023].