„Von dem Streite der Jesuiten mit den Missionarien andrer Orden über die Chinesischen Gebräuche“ (1774)

Kurzbeschreibung

Der Artikel über den Ritenstreit, der in der Aufklärungs-Zeitschrift Hannoverisches Magazin publiziert wurde, stellt die Geschichte der Jesuitenmission in Asien dar und berichtet über die Konflikte zwischen Jesuiten und anderen Missionsorden über die Ausübung der chinesischen Riten. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts hatten die Jesuiten-Missionare die Methode der „Akkommodation“ bevorzugt, bei der neu bekehrte Christen ihre traditionellen Riten und Praktiken wie Ahnenkult und Konfuzianismus beibehalten durften. Als die Dominikaner und Franziskaner in Asien ankamen, kritisierten sie die Jesuiten-Missionare für ihren laschen Umgang mit dem katholischen Glauben und forderten ein Verbot chinesischer Riten. Im Jahr 1704 reagierte Papst Clemens XI. mit einem Verbot chinesischer Riten. Der Katholizismus verlor schließlich an Einfluss und wurde vom chinesischen Kaiser verboten.

Quelle

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An diesem Bekehrungswerke der Indianer hatte der H. Franciscus Xaverius, einer der ersten Gesellen des Ignatius Lojola, dieses Stifters der Gesellschaft Jesu den größten Antheil. Der Eifer für seine Religion führte ihn um die Mitte des 16ten Jahrhunderts nach Goa auf der Küste von Malabar, von da nach den moluckischen Inseln und nach Japan. Von hier aus trat er die Reise nach China an, auch in diesem Reiche das Christenthum zu verkündigen; aber er kam nur bis auf die davon abhangende Insel Sancian, wo er 1552 starb. Seine Ordensbrüder behaupten, man habe, da man ihn da in Kalch verscharret gehabt, um seine Gebeine, wenn das Fleisch dadurch verzehrt worden, desto bequemer nach Goa bringen zu können, den Körper nach einigen Monaten frisch und unversehrt gefunden. Für diesen Eifer das Reich seiner Kirche auszubreiten, wurde er von Paul dem V. für selig, und von Gregor dem XV. für heilig erklärt, und bekam in der Canonisationsbulle, welche erst von Urban dem VIII. ausgefertigt wurde, den Titel eines Apostels der Indianer.

598. Der H. Xaver vererbte den Eifer die Chinesen zu der römischen Religion zu bringen, und dies große Reich vermittelst derselben dem päbstlichen Stuhle zu unterwerfen, auf seine Ordensgesellschaft, die Jesuiten, welche von Macao aus (von welcher an der Küste belegenen Stadt der Kaiser von China den Portugiesen einen Theil zu bewohnen, aber auch unter der Botmäßigkeit und Aufsicht des dasigen Mandarins zu stehen, eingeräumt hatte) Missionarien in dies Land schickten. Ihre ersten Paters die 1583 dahin kamen, waren Ricci, Roger und Pasio, von welchen der erste allein da blieb, der zweyte nach Japan gieng, und der dritte nach Rom zurückkehrte. Vor ihnen hatte P. Caspar, ein Dominicaner 1556 und P. Martin ein Augustiner, 1575 schon den Anfang gemacht, Christum in China zu verkündigen, und, so wie einige Franciscaner, welche ihnen folgten, theils Beyfall, theils aber Widerstand gefunden.

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599. Die Jesuiten sahen wohl, wenn ihre Mission einen bessern Fortgang haben sollte, daß sie einen andern Weg als jene betreten müßten. Da der Unterschied in der Tracht, in der Lebensart, den Gebräuchen und Gewohnheiten zwischen diesen Völkern Asiens und den Europäern so groß ist, so konnten sie leicht den Schluß machen, daß sie der Verfolgung unter denselben um so weniger ausgesetzt seyn würden, wenn sie jener ihre Tracht anlegten, ihrer Lebensart und Gewohnheiten sich gleich stellten, und daß sie auch um desto leichter Proselyten machen würden, je weniger diese nöthig hätten, von ihren vorigen Landesgebräuchen abzuweichen. Der P. Ricci legte also die Kleidung eines chinesischen Gelehrten an, er schaffte sich durch seine Kenntnisse in der Mathematik, Astronomie und Physik, Gunst und Zutritt bey den Großen und am Hofe des Kaisers. P. Schall, ein Cöllner von Geburt, der nach des Ricci Tode 1610 das Haupt der Jesuitischen Mission wurde, setzte sich durch diese Wissenschaften noch mehr in Ansehen, und beförderte dadurch das Bekehrungswerk. So gaben die Jesuiten den lehrbegierigen Chinesern Unterricht in den europäischen Wissenschaften in der Astronomie, der Kriegesbaukunst, sie lehrten Uhren machen, Canonen gießen, brachten den Calender in Ordnung, verfertigten Landkarten von den Provinzen des Reichs und vergönneten ihren Proselyten die Verehrung des Confucius und der Verstorbenen, wie es in China Gebrauch ist.

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600. Da die Jesuiten den Chinesern das Christenthum leichter als andre Missionarien machten, mithin mehr als jene ausrichteten, so sahen sie die geistliche Ernte von China als ihr Eigenthum an, sie waren eifersüchtig, daß andre Ordensmänner ebenfalls ihre Siechel da anlegten, und verhinderten solches, wie man ihnen Schuld giebt, so sehr sie konnten. Diese fanden aber auch gar bald, daß jene ihren Neubekehrten die Beybehaltung solcher Gebräuche erlaubten, welche nach Abgötterey schmeckten, und mit dem Christenthum keinesweges bestehen können. Sie machten den Vorwurf, daß sie den christlichen Mandarins verstatteten zweymal des Monats, wie sie, mithin auch die Jesuiten, welche diese Würde bekleideten, nach den Landesgesetzen verbunden sind, in dem Tempel des Götzen Chin-hoang vor dessen Bilde niederzufallen, die vorgeschriebenen Gebete zu thun, und ihm zu opfern, wenn sie nur ihre Gedanken auf ein in dem Tempel verborgenes, oder heimlich bey sich tragendes Crucifix richteten; daß sie ferner den Neubekehrten zuließen dem Confucius und den verstorbenen Vorfahren eben die Todtenopfer in den heidnischen Tempeln mit eben den Ceremonien zu bringen als die Heiden; daß sie die Namen ihrer Vorfahren und des Confucius mit goldenen Buchstaben auf Tafeln geschrieben aufstellten, ihnen zu gewissen Zeiten einen Tisch mit Speise und Trank besetzt bereiteten, Lichter und Rauchwerk dabey anzündeten; daß sie diese Tafeln, so wie auch die Gräber der Verstorbenen mit Niederfallen zur Erde verehrten ec. Der Dominicaner P. de Morales und der Franciscaner: Bruder Anton von St. Maria, welche von ihren Superioren auf den philippinischen Inseln nach China 1633 geschickt wurden, brachten diese Vergünstigungen zuerst zur Sprache, und meldeten sie ihren Provincialen, und frugen auch bey dem P. Manuel Diaz Visitator der Jesuiten an, warum diese den Christen solche abgöttische Gebräuche zuließen. Die Antwort desselben war, daß er erst die Meynung des Vice-Provincials Hurtado darüber vernehmen müsse. Und so gieng der große und hitzige Streit über die chinesischen Kirchengebräuche zwischen den Jesuiten von der einen, und den Missionarien der übrigen Orden, besonders den Dominicanern und Franciscanern von der andern Seite, an. Es kam darin fürnemlich auf die zwey Punkte an, 1) ob die Chineser unter dem Worte Tien, Himmel den materiellen Himmel und die Natur, oder den Herrn des Himmels, und der Natur verehren, 2) ob die Verehrung des Confucius und der Verstorbenen bloß eine menschliche Ceremonie und Achtungsbezeugung, die man großen Männern und Anverwandten auch nach dem Tode noch schuldig ist, oder ob sie eine gottesdienstliche Handlung sey. Die Jesuiten behaupteten, daß es keine andre als bloß bürgerliche von dem Staat angeordnete Gebräuche wären, die keine Beziehung auf die Religion hätten, weil der Ort wo sie geschehen, kein Tempel, sondern bloß ein Saal sey, und weil man von dem Confucius und den Verstorbenen weder was bitte, noch was von ihnen hoffe. Hingegen hielten die übrigen Missionarien diese Ceremonien für würkliche abgöttische Opfer, und behaupteten, daß die Jesuiten die Abgötterey mit dem Christenthum vermengten.

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Quelle: „Von dem Streite der Jesuiten mit den Missionarien andrer Orden über die Chinesischen Gebräuche, welche jene ihren Neubekehrten zulassen“, in Hannoverisches Magazin 12. Jg., (1774), Sp. 1167–94. Online verfügbar unter: http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:0070-disa-2105263_012_7003

„Chinese Rites Controversy“, in T. Worcester, SJ, Hrsg., The Cambridge Encyclopedia of the Jesuits. New York: Cambridge University Press, 2017, S. 165.

David E. Mungello, The Chinese Rites Controversy: Its History and Meaning. Nettetal: Steyler Verl., 1994.

Qiong Zhang, Making the New World Their Own: Chinese Encounters with Jesuit Science in the Age of Discovery. Leiden: Brill, 2015.

„Von dem Streite der Jesuiten mit den Missionarien andrer Orden über die Chinesischen Gebräuche“ (1774), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-184> [05.12.2024].