Alliierte Streitkräfte, Oberstes Hauptquartier, Handbuch zur Kontrolle der deutschen Informationsdienste (1945)

Kurzbeschreibung

Das Handbuch zur Kontrolle der deutschen Informationsdienste wurde 1944 von der Abteilung Psychologische Kriegsführung des SHAEF (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force – Oberstes Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte) erstellt. Es wurde im Mai 1945, unmittelbar nach Kriegsende in Europa, von der neu gegründeten Abteilung „Information Control Division“ übernommen. Das Handbuch enthält Anweisungen zur Entnazifizierung der deutschen Medien und zur Schaffung einer „demokratischen“ Medienkultur. Diese Auswahl ist programmatisch und enthält sowohl unmittelbare militärische als auch langfristige politische Ziele. Das Handbuch erklärt auch, wie man Nazis, Sympathisanten und so genannte Mitläufer erkennt, damit die Besatzungsbehörden entscheiden können, wem sie Druck- und Radiolizenzen erteilen. Außerdem enthält es einen Anhang über das Propagandasystem der Nationalsozialisten. Mit dem Aufkommen des Kalten Krieges wurde der Schwerpunkt der Entnazifizierung schließlich durch eine antikommunistische Kampagne ersetzt, die viele Linke und Sozialisten von Positionen in lizenzierten Medien ausschloss.

Quelle

I. KAPITEL
ALLGEMEINE POLITIK

1. Auftrag
Die Kontrolle der Informationsdienste in Deutschland erfolgt mit mit Blick auf militärische und politische Ziele.

2. Zuständigkeit
Das Oberste Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte ist für Maßnahmen zur Kontrolle der deutschen Informationsdienste im Zuständigkeitsbereich des Oberbefehlshabers verantwortlich. Die Befehlshaber der Heeresgruppen sind für die Kontrolle der deutschen Informationsdienste in ihrem Befehlsbereich in Übereinstimmung mit den Weisungen des Obersten Hauptquartiers der Alliierten Streitkräfte verantwortlich.

3. Definition
In diesem Handbuch wird durchgängig der Begriff ,Informationsdienste‘ zur Bezeichnung folgender Medien der Nachrichten- und Meinungsverbreitung in Deutschland verwendet: Zeitungen, Magazine, Zeitschriften, Bücher, Broschüren, Plakate, Noten und andere gedruckte oder anderweitig mechanisch vervielfältigte Veröffentlichungen, Tonaufnahmen, Kinofilme, Nachrichten- und Fotodienste und -agenturen, Rundfunk- und Fernsehsender und -systeme, drahtgebundene Rundfunkübertragung, Tonfrequenzverteilungssysteme, Theater, Kinos, Opernhäuser, Filmstudios, Filmlabore, Filmbörsen, Jahrmärkte, Zirkusse, Rummel und andere Orte der Theater- oder Musikunterhaltung sowie die Produktion oder Vorführung von Spielfilmen, Theaterstücken, Konzerten, Opern und anderen Aufführungen durch Schauspieler oder Musiker.
(Der Begriff ,Informationsdienste‘ umfasst nicht Dienstleistungen wie Post, Telegraf und Telefon oder Nachrichten, die von solchen Medien übermittelt werden. Die Aktivitäten von Kriegskorrespondenten und die Probleme bei der Übermittlung ihrer Manuskripte in die alliierten Länder fallen nicht in den Anwendungsbereich dieses Handbuchs).

4. Aufgaben
Die Aufgaben bei der Kontrolle der deutschen Informationsdienste sind:
a. kurzfristig (in erster Linie militärisch).
b. langfristig (in erster Linie politisch).

5. Die kurzfristige Aufgabe
Erleichterung der militärischen Besetzung Deutschlands durch Unterstützung bei der sofortigen Untersagung aller deutschen Informationsdienste und durch die Einrichtung anderer Informationsdienste, die den Militärkommandanten bei der Aufrechterhaltung der Ordnung helfen durch:
a. die Veröffentlichung von Regeln und Vorschriften.
b. das Entgegenwirken von Gerüchten durch Ankündigungen und Informationen.
c. die Bereitstellung eines ausgewählten Weltnachrichten- und Informationsdienstes, der dazu dient, das Verhältnis des einzelnen Deutschen zu den Besatzungsmächten, zur Gemeinschaft und zur Welt insgesamt zu klären.
d. die Beaufsichtigung der Wiederaufnahme kultureller und weitgehend unpolitischer Aktivitäten (wie Musik und Theater) durch die Deutschen, wenn die militärische Situation dies erfordert.

6. Die langfristige Aufgabe
Die Beseitigung des Nazismus und des deutschen Militarismus und ihr Fernhalten von jeglichem Einfluss auf die deutschen Informationsmedien durch:
a. Die Zerstörung aller Überreste des nationalsozialistischen und militaristischen Einflusses.
b. Die Wiederherstellung von deutschen Informationsdiensten, zunächst unter strenger alliierter Aufsicht, nachdem diese vollständig von diesen beiden Einflüssen gesäubert sind.

7. Während die Hauptverantwortung für die kurzfristige Aufgabe beim Obersten Befehlshaber liegt, wird die Hauptverantwortung für die langfristige Aufgabe beim multilateralen Alliierten Kontrollrat liegen. Es wird Aufgabe des Personals der Informationskontrolle sein, sicherzustellen, dass die Grundlagen, die unter der Verantwortung des Obersten Befehlshabers gelegt werden, eine solide Basis für die Arbeit des Kontrollrats bilden. Insbesondere wird in der Anfangsphase der Besatzung darauf geachtet werden müssen, die langfristige politische Aufgabe nicht zu beeinträchtigen.

8. Phasen
a. Die Operationen zur Kontrolle der Informationsdienste werden in drei Phasen durchgeführt:
(1) Phase I Verbot der deutschen Informationsdienste.
(2) Phase II Nutzung alliierter Informationsdienste und Überprüfung der deutschen Informationsdienste.
(2) Phase III Schrittweiser Übergang zu deutschen Informationsdiensten, die von Deutschen unter alliierter Aufsicht geleitet werden, von Region zu Region und von Medium zu Medium variierend.
b. Die durch das Verbot aller deutschen Informationsdienste verursachte Unterbrechung wird genutzt um:
(1) Die Zerstörung der Nazi-Maschinerie vor Augen zu führen.
(2) Zeit für die Durchführung der Überprüfung zu gewinnen, die für die Zulassung deutscher Informationsdienste unter deutscher Leitung erforderlich ist.
(Der Zeitraum, in dem es keine lizenzierten deutschen Informationsdienste gibt, wird von Medium zu Medium unterschiedlich sein. Am längsten wird er wahrscheinlich bei Medien wie Radio und Presse andauern. Sobald es andererseits gelungen ist, echte deutsche kulturelle Aktivitäten wie Theater, Oper und Musik von den politischen Zwecken, zu denen sie unter nationalsozialistischer Kontrolle missbraucht wurden, zu befreien, kann ihnen die Erlaubnis zur Wiedereröffnung erteilt werden, wann immer es die militärische Situation erfordert.)

9. Phase I. – Verbot der deutschen Informationsdienste
Das Gesetz der Militärregierung gestattet die vollständige Zerstörung der Nazi-Propagandamaschine. Es (a) verbietet den Betrieb aller deutschen Informationsdienste und (b) ermächtigt uns, denjenigen Kräfte und Personen die Kontrolle über das gedruckte Wort, den Rundfunk, die Musik, das Theaters und den Film zu entziehen, die diese Kontrolle zur Ausgestaltung der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie genutzt haben.

10. Es muss eindeutig klar sein, dass keinerlei Erwägungen aus Bequemlichkeit oder Zweckmäßigkeit das Prinzip der totalen Eliminierung von Nazis und Militaristen aus Positionen der Einflussnahme und der Kontrolle beeinträchtigen dürfen. Im Bereich der Informationsdienste dürfen keine Ausnahmen zugelassen werden, da jede dieser Ausnahmen die langfristige Aufgabe gefährdet, für welche die militärische Besetzung Deutschlands nur ein Mittel ist.

11. Phase II. – Nutzung alliierter Informationsdienste und Überprüfung der deutschen Informationsdienste
Informationsdienste der Alliierten werden:
a. Die durch die völlige Zerstörung der Nazi-Propagandamaschinerie entstandene Lücke füllen.
b. Das Ende des Naziregimes so scharf wie möglich markieren, indem sie dafür sorgen, dass die täglichen Nachrichten nicht nur aus nicht-nationalsozialistischen, sondern auch aus nicht-deutschen Quellen an die deutsche Einzelperson gelangen. Hierdurch wird täglich in unbestreitbarer Form an das Verschwinden der alten Ordnung erinnert.
c. Den Deutschen ein Beispiel dafür liefern, was ein objektiver Nachrichten- und Informationsdienst ist. In Deutschland werden die alliierten Informationsdienste die Arbeit fortsetzen, die der alliierte Rundfunk außerhalb von Deutschland begonnen hat: den Deutschen beibringen, den unverfälschten Nachrichten zu vertrauen – im Gegensatz zur Nazi-Propaganda, der sie bisher ausgesetzt waren.

12. Einzusetzende Medien
Zwei Medien sind in dieser Phase von überragender Bedeutung – Radio und Presse. Beide werden zu militärischen Zwecken betrieben und tragen den Stempel der Besatzungsarmeen. Die einzigen Veröffentlichungen werden von den Alliierten herausgegeben. Innerhalb von Deutschland operierende Radiosender werden sich als Sender der Militärregierung präsentieren. Die alleinige Verantwortung für das, was in Presse und Rundfunk gedruckt und gesagt wird, liegt daher bei den Besatzungsarmeen; dennoch werden wir außerhalb der Redaktionen deutsches Personal und Ressourcen einsetzen. Die Informationsdienste der Alliierten können auf andere Medien als Presse und Rundfunk ausgeweitet werden, wenn die militärische Lage dies erfordert.

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17. Das politische Problem.
a. Die oben genannten Verfahren werden ausreichen, um sicherzustellen, dass die militärischen Sicherheits- und politischen Erfordernisse während der militärischen Besatzungszeit gewährleistet sind. Aber dieser Zeitraum wird, auch wenn er von langer Dauer sein mag, im Hinblick auf das langfristige politische Ziel – die Zerstörung des Geistes der deutschen Aggression – kurz sein. Unter den Bestimmungen der bedingungslosen Kapitulation können die Alliierten die physische Fähigkeit der Deutschen, Aggressionen zu begehen, ausschalten. Aber keine Kapitulation kann als solche den Geist der Aggression zerstören. Das kann nur durch langfristige Erziehung erreicht werden.
b. Diese langfristige Erziehung kann nur von den Deutschen selbst geleistet werden. Und die wenigen Deutschen, die dazu bereit und in der Lage sind, können nur dann erfolgreich sein, wenn unter unserer Aufsicht die Informationsmedien für sie geöffnet werden und denen verschlossen bleiben, in denen der Geist der Aggression überlebt. Es liegt an uns, durch die Tatsache des Sieges die Kontrolle über die meinungsbildenden Instrumente dorthin zu verlagern, wohin wir wollen. Der Erfolg oder das Scheitern unserer Kontrolle der Informationsdienste wird schließlich davon abhängen, welchen Beitrag sie dazu leisten, Nazis und Militaristen aus der Kontrolle der deutschen Informationsdienste zu beseitigen und diese Kontrolle in die Hände von Deutschen zu legen, denen man zutrauen kann, sie gut zu nutzen.
c. Da dieses deutsche Führungspersonal erbärmlich klein ist, was Einfluss, Anzahl und Selbstvertrauen betrifft, wird es lange Zeit unter alliierter Aufsicht arbeiten müssen.

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18. Nazis und Militaristen
Es ist unerlässlich, dass das mit der Informationskontrolle betraute Personal es vermeidet, den offensichtlichen Nazi als einzigen Feind anzusehen. Es gibt zwei Feinde in Deutschland – den Nazi, einschließlich des Nazi-Sympathisanten, und den deutschen Militaristen. Keiner von beiden darf auf irgendeine Kontrollposition in den deutschen Informationsdiensten zugelassen werden. Den offensichtlichen Nazi aufzudecken wird weniger schwierig sein. Er ist an seiner Parteimitgliedschaft erkennbar. Nicht so leicht zu erkennen sind hingegen viele weniger leidenschaftliche Nazis und die meisten Militaristen, da sie praktisch jeder Form von politischer oder sozialer Organisation angehören oder gar ohne Parteizugehörigkeit sein können. Im Großen und Ganzen können die Mitarbeiter der Informationskontrolle wohl davon ausgehen, dass jeder, der vor 1933 eine Partei, die den deutschen Nationalismus und Militarismus befürwortete, aktiv unterstützte, verdächtig und möglicherweise sogar gefährlicher ist als viele Mitglieder der Nazi-Partei. Verdächtig ist auch jeder, der unter dem Hitlerregime Erfolge vorzuweisen hat, ob Parteimitglied oder nicht. (Siehe Kapitel VI.)

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Quelle: Allied Forces, Supreme Headquarters, Manual for the Control of German Information Services. Ohne Erscheinungsort, 1945, S. 1–3, 5–6.

Übersetzung: aus dem Englischen von Katharina Böhmer

Larry Hartenian, „The Role of Media in Democratizing Germany: United States Occupation Policy 1945–1949“, Central European History 20, no. 2 (June 1987), S. 145–90.

Lawrence Raymond Hartenian, „Propaganda and the Control of Information in Occupied Germany: The US Information Control Division at Radio Frankfurt 1945–1949“. Ph.D., Rutgers, The State University of New Jersey-New Brunswick, 1985, S. 49–96.

Alliierte Streitkräfte, Oberstes Hauptquartier, Handbuch zur Kontrolle der deutschen Informationsdienste (1945), veröffentlicht in: German History Intersections, <https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-191> [05.12.2024].