Augustin Güntzer, Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben – Mein Reißbiechlin (17. Jahrhundert)
Kurzbeschreibung
Die von dem Elsässer Kannengießer Augustin Güntzer (1596-ca.1657) niedergeschriebene Autobiografie widmet sich in großen Teilen der Wanderschaft ihres Autors. Über 5 Jahre hinweg bereiste Güntzer als Geselle viele Teile Europas. Seine reichhaltige Lebensbeschreibung enthält neben der niedergeschriebenen Erzählung auch zahlreiche Zeichnungen Güntzers. Eine dieser Zeichnungen zeigt Güntzers Begegnung mit Räubern im Hagenauer Forst am Oberrhein. Solchen „Merdern“ zu begegnen, war eine in Kauf zu nehmende Gefahr für Reisende. Güntzer vertreibt die Räuber durch eine Vorführung seines „Bussers“. Die in Wäldern lauernden Wegelagerer waren überdies nicht nur eine reale Gefahr, sondern auch ein erzählerisches Motiv in Autobiografien aus jener Zeit.
Quelle
Nachdem ich nun im Jahrr ano 1615 auff Barttolimey außzog zu wandtern, ließ mihr mein Vatter ein ney Kleidt machen von Leder, gab mihr zugehohrige Nodtdurfft wie auch 12 fl. in Gelt. Beynoben hatte ich auch 12 fl., so ich zusamengelegt hab, waß mihr zu Zeitten von meinen Frindten ist vererdt worden undt (ich) mitt Zinstechen verdienet habe. Mein Vatter begerdt, ich sollte daz Landt auffwerdts ziehen, dieweil es in der Pfaltz sehr unsicher ist der Soldadten halben, welche sich hin undt wider zusamen rodtierten, nach dem Malzheiner Krieg hero hin undt wider in den Welten auffhielten, derohalben die reißeten Leidt plindern und ermerdten. Dißer Straßenreiber undt Merdter sidnt in kurtzer Zeitt etlich hundert am Reinstrom auff daß Radt gelegt worden, so ich zum Theil alle auff den Redern hab sehen ligen. Under solche beße Buben undt Merdter bin ich auch gevallen undt nahe ermordedt worden, so mich mein Gott nicht erhalten hette. Es zog mit mihr von Oberehn hinweck ein Man, so alda in den Weinreben 2½ Jahr gearbeidtet hatt, in der Underpfaltz sunsten wonhafft wahr zur Neystatt bey der großen Linden, auch bey sich hett in barem Gelt 1½ hundert fl. Als wihr ein Meill Wex in den Hagenauer Forst kamen, so kame auß einem Busch ein Merdter, kurtz, eine Person, sprach zu unß: Wie weidt wolt ihr? Ich will mitt eich gehen. Ich hatte bey mihr einen Busser. Ich sahe mich fohr, dacht in meinem Sin, dißer Gesell ist ein Waltfischer. Indem sprach er: Landtsmann, prenet eyren Busser loß, dan es ist verbodten, kein geladten Rohr in dißem Walt zu tragen bey Leibstraff, wogen daz man kein Gewilt schießen dudt. So ein Waltforster solt zu eich komen, wirdt er eich gefenglich nacher Hagenau fieren. Gabe ihme darauff zur Andwordt: Ich trag meinen Busser undt Gewohr nicht auff das Gewilt in meiner Wanderschafft, sonder auff die Straßenreiber undt Merdter, dieweill es sonderlich vil in dißem Walt gibet, wie man dan der Zeichen undt Holzheiffen vil sicht, da die reißet(e)n Leidt ermordtet sindt worden. Mache also den Merdter die Sell so haiß durch Reden, wie (sie) ewiglichen darinnen Martter undt Plag werdten leidten und taustehen, wafehrn sie nicht werden Buße thun. Aber dißer boßer Gesell achtet meiner Reden nichts, sondter er wahr ein Merdter undt begehrdt mich zu ermerdten. Under 30 Mallen ist er nicht hinder mihr gangen auff den beschlagen Beimen, darauff man muß gehen des Geweßers und boßen Weges halben. So offt als er hinder mich ging, spring ich von den gelegten Beimen herunder undt ging widerumb dahinden. Als wihr mitten in den Walt kamen, ging er widerumb hinder mihr, zog ein Meßer auß dem Hossensack, stick mihr nach dem Halß, aber Gott behiedtet mich fihr einem solchen Dodt, der Stich ging mihr noben dem Kragen hinauß. Da lief ich mitt dem Rapier auff i(h)n zu, so enrsprang er mihr, zog ein Pfeifflin auß dem Sack, gab 3 Mall Loßung dermit. Da kame alsobalt auß dem Busch ein Merdter, sein Gesell, welcher im Busch als mitging. Aber ich undt der redlicher Geferdt, welcher mit mihr von Oberehn auß reißet, sahen i(h)n nicht. Diß 2 Merdter lieffen mitten in der Straß zusamen, dirfften sich aber nicht mehr an unß wagen, dieweill wir wohl bewerdt wahren, gingen also noch mit unß durch den Walt mitt Streitt undt strengen Worden. Im Ende des Walts lag ein Miller udnt sein Son auff den Reder bey ihrer Millen. Der Vater hatt in diß(e)m Walt bey 24 Mordt begangen undt der Son 15, welcher 18 Jahr alt wahr. Aldar wahr gleich ein Dorff. Schieß also meinen Busser loß, daß die Kugel in eine Eichen ging, undt sprach zu den zweyen Merdtern: Saet ihr es, ihr Merdter, so ihr noch einmall an unß angesetz hetten, so wolt ich einem diße Kugel in Leib geschoßen haben. Gleich wie diße Merdter auff den Reder ligen, so werdter ihr auch darauff gelegt werden, darum nemet ein Exenpel an dißen Merder, welche dahier geredert sindt worden. In dem gingen diße 2 Merdter widerunb zurück in den Walt. Ich undt meine fromer Geferdt gingen mitt Freidten unßers Wegs fordt, dancken Gott, daz er unß auß der Merdterhand erett hatt, klagten solches in dem Dorff. Die Bauren verwundern sich, daß wihr mit dem Leben sidnt davonkommen wogen der großen Unsicherheidt der Merdter. Gott sey Lob um seine Hilffe. AM(en)t.
Eine Dancksagung zu Gott,
meinem himlischen Vatter,
daß er mich fihr dißen,
Straßenreiber undt
Merdter erhalten
Hatt, daß ich
nicht ermerdt
bin worden
von ihren Hendten.
Almechtiger Gott, himlisch[e]r Vatter, ich sage dihr ewiges Lob. Hie zeittlich undt dordt in der ewiger Freidte will ich dich loben undt preißen von wogen, daß du mich auß großer Liebe undt Genadten behiedet hast fihr dißen Straßenreiber undt Merdter, daß sie mich undt meinen Geferdten nicht verderbet und ermerdtet haben.
Quelle: Fabian Brändle und Dominik Sieber, Hrsg., Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben: Die Autobiografie eines Elsässer Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag, 2012, S. 125-27.